Ein Kokon für Zwei

betr.: die Blu-ray „Laurel & Hardy: Year One – The Newly Restored 1927 Silents“

Das Ende der Stummfilmzeit war – schon aus Gründen der technischen Umrüstung – ein mehrjähriger Prozess, den die Historiker „Transition Time“ nennen. Salopp könnte man sagen, der Stummfilm endete 1927 mit „The Jazz Singer“*, der Tonfilm begann im folgenden Jahr mit Walt Disneys „Steamboat Willie“, der seit dem Neujahrstag offiziell komplett gemeinfrei ist und dadurch wieder ins mediale Bewusstsein rückte. 1930 war der Tonfilm dann endgültig die Norm.
Zu den wenigen Stars in Hollywood, die diese Zeitenwende vollkommen bruchlos bewältigten, zählen Stan Laurel und Oliver Hardy. Im Schicksalsjahr 1927 reiften sie von zwei verlässlichen Chargen in den Ateliers von Hal Roach zum später bedeutendsten aller Komikerpaare.
Diese Entwicklung vollzog sich im Laufe von 15 Filmen – ein Output, der innerhalb eines Jahres auch unter dem Gesichtspunkt unglaublich anmutet, dass es sich um Zweiakter handelt, also um 20minütige Kurzfilme. Gemeinsam mit der ersten, zufälligen Begegnung der beiden Schauspieler vor der Kamera – „Lucky Dog“ (1921), der Laurel als Hauptdarsteller führt – und den noch immer verschollenen „Hats Off“ auslassend, ist dieses Repertoire auf der Doppel-bluray „Laurel & Hardy: Year One – The Newly Restored 1927 Silents“ versammelt worden.

Selbst für einen Liebhaber wie mich existierte immer eine ominöse Grauzone zwischen Laurels Solofilmen (sie zeigten einen urkomischen Draufgänger, der mit dem späteren Stan-Charakter fast nichts gemein hat) und den klassischen Stan-und-Ollie-Vehikeln. Diese Filme nun chronologisch und bestmöglich rekonstruiert zu erleben, ist eine Offenbarung! Der immens wandlungsfähige Klein- und Nebendarsteller Oliver Hardy arbeitet sich langsam zum Status Stan Laurels hinauf, ohne dass jemals ein Hauch von Konkurrenzkampf aufkäme (ganz anders als beim kompetitiven Harold Lloyd, dessen Filme vergleichsweise brav gealtert sind). Ringsum agiert das vertraute Ensemble aus Respektspersonen, Ganoven, Liebchen, Ehefrauen und begnadeten Backpfeifengesichtern, aus dem James Finlayson** herausragt, der schon zuvor gelegentlich mit Laurel im Duo agiert hatte. In der mit Grusel-Elementen versetzten Krimiklamotte „Do Detectives Think?“ sehen wir Stan und Ollie erstmals als richtiges Duo mit Bowlerhüten, wenn auch noch mit erfundenen Rollennamen. Ihrer Partnerschaft haftet noch bis zu „The Battle Of The Century“ etwas Sporadisches an. William K. Everson schreibt zu diesem Thema anlässlich von „Duck Soup“: „Der Film ist eine von Hal Roachs All-Star-Comedies, und Laurel & Hardy werden nicht als Duo geführt. Tatsächlich treten sie aber als Paar auf, was so vorzüglich funktioniert, dass man sich nur wundern kann, warum in vielen folgenden Filmen Laurel der Solo-Star blieb und Hardy ein gelegentlicher Stichwortgeber“.
Die Zweiakter dieser Phase haben eine komplexe Handlung, während sich Laurel & Hardy im kurzen Format später hauptsächlich auf Variationen eines Themas konzentriert haben. Als sie für ihre Langfilme wieder zum Erzählen ganzer Geschichten zurückkehren mussten, taten sie sich viel schwerer damit. Auch in dieser Hinsicht ist „Year One“ knapp 100 Jahre später ein überaus frisches Vergnügen.
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2014/10/06/ruhestoerung-in-hollywood-die-verschreckte-leinwand/
** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2016/10/09/6384/

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