Der letzte Kultfilm: „Pulp Fiction“

betr.: Aktueller Themenschwerpunkt „Kultfilme“

„Pulp Fiction“ vom Autorenfilmer Quentin Tarantino war im Jahre 1994 eine künstlerische und kommerzielle Sensation, eine Riesenüberraschung und – obschon randvoll mit Rückbezügen und parodistischen Verweisen – etwas unerhört Neues. Er revolutionierte beileibe nicht nur den Gangsterfilm, dem er am ehesten zuzurechen ist. Der Drehbuchautor Paul Schrader („Taxi Driver“) brachte die Stimmung der Branche auf den Punkt, als er bekanntgab, alles, was er bisher geschrieben habe, sei hiermit veraltet. Der größte Teil der übrigen Filmwelt war weniger bescheiden und flutete die Leinwand in den folgenden Jahren mit einer Unzahl „selbstgemachter Tarantinos“ nach dem Motto: es kann doch nicht so schwer sein, brutale Gangster auf dem Weg zu ihrem Kill ein bisschen doof rumlabern zu lassen und damit einen Riesenerfolg zu haben. So einfach war es freilich nicht. Die Ergebnisse waren insgesamt künstlerische Totalausfälle, wenn das – ebenfalls Tarantino-angefixte – Publikum sie auch recht großzügig goutierte.
„Pulp Fiction“ ist tatsächlich ein Kunstwerk, das Standards setzt, und dabei so unterhaltsam, dass ihn sogar jene atemlos bestaunten, die ihn wegen seiner expliziten Gewaltdarstellungen eigentlich nicht mögen wollten. Dass sie es mit einem augenblicklichen Klassiker zu tun hatten (ja, so etwas kann es geben!), ahnten sie möglicherweise auch wegen der Tanznummer, in der der zuletzt bedeutungslos gewordene John Travolta seinen Ruhm als filmischer Disco-Star gleichsam wiederbelebt, parodiert und auf ewig einmottet.

Drei Gangstergeschichten werden unchronologisch ineinander verwoben. Sie alle kreisen um den entsetzlichen schwarzen Gangsterboss Marsellus Wallace, der allerdings nur als Teil eines großen Ensembles ins Bild tritt.
Die größte Präsenz haben die beiden Profikiller Vincent Vega und Jules Winfield: ein langhaariger Weißer, der die letzten Monate in Amsterdam verbracht und von dort Unglaubliches zu berichten hat, und ein grimmiger, bibelfester Schwarzer, der später die Konsequenzen aus seiner Gottesfurcht ziehen und dem Morden abschwören wird. Die beiden versauen sich bei ihrem blutigem Handwerk so gründlich Arbeitskleidung und Dienstfahrzeug, dass sie die Dienste eines Reinigungsspezialisten benötigen. In der zweiten Story erhält Vincent den Auftrag, Wallace‘ betörende Frau Mia auszuführen. Ausstaffiert mit Koks und Heroin gehen die beiden aus (wobei es zu der stilbildenden Tanzeinlage kommt). Danach rauscht Mia ins Koma, und Vincent muss ihr Leben retten, will er nicht den Zorn seines Bosses auf sich ziehen. Schließlich lernen wir den abgehalfterten Boxer Butch kennen. Er hintergeht Wallace und will sich mit seiner Freundin Fabienne aus L. A. absetzen. Zuvor gerät er jedoch in eine Notlage, in der er ausgerechnet Wallace wiedersieht. Eingerahmt werden diese drei Kapitel von einem Zwischenfall in einem Diner: dort bekommt es das durchgeknallte Kleingangsterpärchen Pumpkin und Honey mit ihren großen Kollegen zu tun: Vincent und Jules.

Dass der ehemalige Videothekar und ewige Trash-Liebhaber Quentin Tarantino in Cannes die Goldene Palme abräumte und bei den Oscars immerhin mit dem Drehbuchpreis geehrt wurde, war nur der Anfang märchenhaften Ruhmes. Tarantino stieg zu einer Art Gottheit der  Filmindustrie auf, einem Guru mit Unfehlbarkeitsgarantie (eine Stellung, die im handlichen Deutschland-Format um diese Zeit der Moderator und Comedy-Star Harald Schmidt auf sich ziehen konnte). Tarantino dreht seither in gemächlichen Abständen sehr große, teure und überaus persönliche Filme, denen – unabhängig von ihrer wechselvollen Qualität – eine hündische Gemeinde aus Kollegen, Kritikern und Fans aus dem Volke stattlichen Zulauf garantiert. Neben den Arbeiten seiner Kollegen diesseits und jenseits des Mainstreams können sie sich allemal sehen lassen.
Quentin Tarantino ist der letzte Filmemacher, der in der Zelluloid-Ära – abseits aller Algorithmen und sonstigen Schmuhs – aus eigener Kraft groß geworden ist und seinen Ruhm bis ins digitale Zeitalter vollständig bewahrt hat. Über bisher drei Jahrzehnte hinweg.
Seine vielleicht größte künstlerische Leistung besteht darin, dass er auf seinen Durchbruch „Pulp Fiction“ mit „Jackie Brown“ einen ganz unaufgeregten, heiteren, beinahe zärtlichen Thriller folgen ließ, völlig frei von der Nervosität, auf den vorigen Rabatz noch einen draufsetzen zu müssen. Tarantinos spätere Arbeiten lassen diesen Charme größtenteils leider vermissen.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Krimi, Popkultur abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert