„Gesammeltes Schweigen aus der Keksdose – Seufzer, Atemzüge, absolutes Schweigen – auf Tonband materialisiert, das, sobald man die Dose schüttelt, ein ganz eigenes Geräusch verursacht.“
Kürzlich wurde ich in einem Radiofeature* auf den in der Tat naheliegenden Subtext eines meiner Lieblingstexte hingewiesen. Der war mir jahrzehntelang gar nicht in den Sinn gekommen, obwohl in der Verfilmung, die knapp zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung herauskam, mit Dieter Hildebrandt ein Hauptdarsteller auftritt, der sich seiner sehr bewusst gewesen sein wird. „Heinrich Böll veröffentlicht die Erzählung ‚Doktor Murkes gesammeltes Schweigen‘ 1955. Sie spielt in einer deutschen Rundfunkanstalt. Worauf Böll zehn Jahre nach dem Ende der Nazizeit anspielt, ist unschwer zu erraten. Zum einen macht er sich über das erleichterte Aufbruchsgeplapper nach der sogenannten ‚Stunde null‘ lustig.“ – „Ich habe erst drei Minuten. Es wird ja auch nicht viel geschwiegen.“ – „Zum anderen thematisiert er natürlich das Verschweigen der eigenen Verstrickung während der Nazizeit, das Schweigen über Mitschuld oder Schuld, das im Westdeutschland der Adenauer-Ära common sense war. ‚Kommunikatives Beschweigen‘ nannte es der Historiker Hermann Lübbe.“
Daran hatte ich tatsächlich noch nie gedacht. Der Grund liegt vermutlich in den diversen anderen Humor-Ebenen, die den Text weiterhin auszeichnen (für mich besonders wichtig: die Parodie auf den Literatur- und Rundfunkbetrieb und somit auch auf die Hochzeit des öffentlich-rechtlichen Systems).
Und er beweist mir einmal mehr: man muss die Pointe eines Witzes nicht erklären können, um über ihn zu lachen.
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* „Vom Schweigen in der Literatur: Die Kunst, keine Worte zu machen“, nachhörbar unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/schweigen-in-der-literatur-100.html