betr.: 40. Todestag von François Truffaut
Gestern abend hatte ich erstmals Gelegenheit, Jens Wawrczecks Lesung von „Das Haus von Professor Edwardes“* in ihrer Live-Version zu erleben. Für einen lebenslangen Hitchcock-Fan und treuen Pilger der „Hitch und ich“-Reihe war das natürlich keine Entdeckungsreise – abgesehen davon, dass ich die Eleganz der abendfüllenden Kurzfassungen immer wieder eigens bewundere. Diesmal lag der Lesung ein 9stündiges Hörbuch zugrunde, was rein rechnerisch die Straffung auf ein Sechstel bedeutet, die man im Saal nicht wahrnimmt. Es fühlt sich jedesmal so an, als höre man kompletten Roman. (Einzig der Bühnenfassung der wiederum etwa doppelt so umfangreichen „Rebecca“-Lesung* ist der Effekt der Verknappung anzumerken.)
Überraschungen gab es trotzdem.
So wurde mir gestern abend vollständig bewusst, wie schundig die Buchvorlage des überaus edlen Liebesdramas „Spellbound“ (deutsch: „Ich kämpfe um dich“) doch ist. „The House Of Dr. Edwardes“ ist sicherlich das volkstümlichste und dem Groschenroman am nächsten stehende Buch, das Hitchcock verfilmt hat.
Dem Regisseur graute sogar selbst ein wenig davor, wie er François Truffaut gestand („… ein melodramatischer und wirklich verrückter Roman über einen Irren, der die Herrschaft über eine Irrenanstalt an sich reißt. In dem Roman waren sogar noch die Krankenpfleger Irre und stellten alle möglichen Dinge an.“). Selbstverständlich tat und tut das dem Vergnügen keinen Abbruch. Und auch dass sich Hitchcock von dieser Vorlage besonders weit entfernte, schadet nicht (nur „Das Lied des Drachen“ ist im Drehbuch noch freier bearbeitet worden und hat mit seiner „Verfilmung“ „Notorious“ aber auch nicht das Geringste mehr zu tun).
Diesmal wurde der Interpret von zwei Live-Musikern begleitet: der Harfinistin Maria Todtenhaupt und dem Theremin-Spieler Jan-Peter Pflug (die erstmals gemeinsam auftraten). Die ungewöhnliche Kombination dieser beiden recht exotischen Solo-Instrumente führte dank des klugen Arrangements und des virtuosen Spiels zu einem raumgreifenden Orchester-Sound.
Launiges am Rande: die Wikipedia behauptet bis heute, es gäbe von „The House Of Dr. Edwardes“ keine deutsche Übersetzung. In der Tat hat Olaf Kreutzenbeck den Text für die Reihe „Hitch und ich“ übersetzt, aber das ist ja nun auch schon einige Jahre her. Auch die angeblich vier Schwestern von Jens Wawrczeck sind nicht aus der Online-Enzyklopädie zu vertreiben.
_______________
* Die erwähnten Hörbuch-Titel aus der Reihe „Hitch und ich“ der Edition Audoba sind #10 „Spellbound – Das Haus von Dr. Edwardes“, siehe https://blog.montyarnold.com/2018/05/10/die-fidele-klapsmuehle/; #12 „Rebecca“, siehe https://blog.montyarnold.com/2019/04/01/london-pride/ und #14 „Berüchtigt – Das Lied des Drachen“, siehe https://blog.montyarnold.com/2020/07/13/beruechtigt-als-hoerbuch/.