Der mit der Säge

betr.: „Sein oder Spielen – Über Filmschauspielerei“ von Dominik Graf

Phasenweise (etwas später als die meisten) habe ich Götz George sehr gern in der Rolle des Kommissar Schimanski in den „Tatort“-Krimis zugesehen. Heute kommen mir diese Filme, kommen mir George selbst und sein darstellerischer Ansatz komplett veraltet vor, unfreiwillig komisch. Die Episoden mit seinem direkten Vorgänger Hansjörg Felmy alias Kommissar Haferkamp – einmal bei Schimanski ausdrücklicher Gegenstand eines herablassenden Dialogs und in den 80ern Inbegriff eines überholten Konzeptes – haben sich viel besser gehalten.
In „Sein oder Spielen“ widmet der Regisseur Dominik Graf dem „ersten“ richtigen „Star“, den er anzuleiten hatte, den angemessenen Raum, eben Götz George. Und bringt etwas Licht in meine gewandelte Wahrnehmung.

Götz George musste nie darum kämpfen, ein prominenter Schauspieler zu werden, zu sein oder zu bleiben (auch wenn er ein ewiges Hadern und Ringen zur Schau stellte, das nur nachließ, wenn er sich ungewöhnlicherweise als Komödiant betätigte und bewährte: in „Schtonk“). Graf schickt diesen Sonderstatus voraus und beschreibt dann, was Götz George unbedingt anders machen wollte als sämtliche anderen, die diesen Beruf ausübten: „Der Star arbeitet permanent gestisch, nimmt dauernd etwas in die Hand – Kaffeebecher, Polizeimarken, Zigarettenschachteln oder Akten – und fummelt sich im Gesicht herum.* Anders als deutsche Schauspieler sonst zersägt er seine Texte in Gestotter, will um jeden Preis Alltäglichkeit, Normalität, eine Figur, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht, keinen Kommissar, der sich von der Sprechbühne in den Film verirrt hat.“
Wer diese Auftritte kennt, wer überdies die endgültig ins unkontrollierte Selbstplagiat abgerutschte Wiederauferstehung der Schimanski-Figur außerhalb der „Tatort“-Reihe in Erinnerung hat, der weiß: man kann auch zu viel des Guten tun (und damit der „Normalität“ keinen guten Dienst erweisen).
Am Ende des Themenkomplexes bedauert der Autor: „Die vitale ‚Alltäglichkeit‘ des Spiels blieb, muss man heute leider sagen, eine kurze Pausendarbietung im westdeutschen Film. Schnell setzte sich wieder das Spielen nach Drehbuch durch, das oft überzogen dramatisierte brave Dialog-Match entsprechend den Sehnsüchten der Dramaturgen und Produzenten.“ Dies bedeutete das Ende dessen, was zuvor wiederum als das „Ende des unmittelbaren Nachkriegsfernsehens“ gefeiert worden war.

Ist das bedauerlich? Sicherlich, ein bisschen. Wie wenig verwunderlich es ist, erklärt Dominik Graf an anderer Stelle selbst. Er berichtet von der unentwegten Schauspielerei unseres Alltags, von ihrer Offensichtlichkeit und davon, wie einvernehmlich wir alle in der Regel damit umgehen: „… wir ‚optimieren‘ uns ja auch permanent selbst, wir prahlen offen oder wir verkleiden uns mit einer Ausstrahlung von (zumeist falscher) Bescheidenheit. Und wir alle meinen dabei ernsthaft, die Zuschauer unseres Lebens würden es nicht merken? Gesten, Mimik, Satzmelodien sind wundersame Charakterisierungen, aber ja auch mehr oder weniger durchschaubare Maskerade. Sie sind auch oft im Leben schmerzhaft erlernte Taktiken, um für Verständnis oder Zuneigung zu werben oder uns die Welt vom Hals zu halten“.
Das ist der Grund für die Patina, die Götz Georges Spiel angesetzt hat: er hätte es als unter seiner Würde empfunden, den allzumenschlichen Drang, besser dastehen zu wollen, in sein Spiel mit aufzunehmen. „Normalität“ hieß für ihn: als Schauspieler (Selbstdarsteller?) etwas Besseres zu sein und sowas nicht nötig zu haben. Das war Ausdruck von Unbescheidenheit. Es war eine Zeitlang recht erfrischend, George dabei zuzusehen. Oder es wirkte wenigstens so.  

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* Es hätte Götz George sicherlich gekränkt innehalten lassen, wenn man ihn darauf hingewiesen hätte, wie übertrieben so etwas wirken und im Gutgemeinten steckenbleiben kann und wie viel früher das schon auf der Mattscheibe geschehen war, siehe: „Alle zappeln außer Helga“, https://blog.montyarnold.com/2024/11/24/das-haus-an-der-stoer/  

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