Die schönsten Filme, die ich kenne (127): „Haus der Schatten“

betr.: 99. Geburtstag von Patricia Neal (am Freitag)

Der Schriftsteller Roald Dahl ist uns heute vor allem wegen seiner anarchischen Kinderbücher in Erinnerung, die um die Jahrtausendwende zahlreich verfilmt wurden. In den 60er und 70er Jahren schätzte man ihn hauptsächlich für seine makaberen Kurzgeschichten, einige davon explizit erotisch. Der schwarze Humor der sie durchweg kennzeichnet, wird bei uns schnell mit der Floskel „typisch britisch“ abgetan, doch Dahls Eleganz und sein kluger Hintersinn sind bis heute unerreicht. Er verfasste gelegentlich Drehbücher – zwei davon nach Vorlagen von „James Bond“-Autor Ian Fleming – und lieferte den großartigen Plot für den Spionagethriller „36 Hours“, doch seinen boshaften Dialogwitz sucht man in all diesen Filmen vergeblich. Einzig der kleine Thriller „The Night Digger“ (1971) ist lupenreiner Dahl. Die Schauspielerin Patricia Neal, mit der der Autor 30 Jahre lang verheiratet war, nimmt einigen persönlichen Kummer mit in die Rolle:  mit nur 39 Jahren erlitt sie mehrere Schlaganfälle und musste ihren Beruf noch einmal neu erlernen, ebenso das Leben selbst: gehen, reden, lächeln.

Die verhärmte Maura Prince lebt mit ihrer blinden, tyrannischen Adoptivmutter in einem verfallenden Landsitz in der englischen Provinz. Als Mutter gegen ihren Willen den jungen Vagabunden Billy als Gärtner einstellt, macht der sich schnell im Haushalt unentbehrlich. Bald entwickelt sich eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Maura und Billy, die in eine Romanze übergeht. Gemeinsam wollen die beiden ausbrechen: sie aus ihrem tristen Dasein zwischen Kirchengemeinde, Arbeit im Krankenhaus und der Ausbeutung durch ihre Mutter, er aus dem Sog eines noch weitaus dunkleren Geheimnisses …

Neal und der unkorrekterweise als Debütant annoncierte Nicholas Clay liefern eine feinfühlige dramatische Darstellung, die wunderbar mit dem skurrilen Ensemble interagiert, das sie umgibt. Die treffend besetzten Kleinbürger (die ihr Glück kaum fassen können, als es eine Mordserie gibt, über die sie sich das Maul zerreißen können) scheinen der TV-Serie „Roald Dahl’s Tales Of The Unexpected“ (1979) entstiegen zu sein, die mit niedrigstem Budget und prominenten Gaststars großen Erfolg hatte.
Dahls Geschichten werden gern in „phantastische“ Anthologien aufgenommen, doch es gibt in ihnen niemals Science-Fiction und so gut wie keinen klassischen Grusel. Neben ihrer Tücke ist es vor allem eine besondere Angewohnheit des Erzählers, die Paranoia erzeugt: das abrupte Ende vieler Geschichten (ein Stilmittel, das in der TV-Serie geglättet wurde). Auch „The Night Digger“ hat im Finale immer weniger, zuletzt gar keinen Dialog mehr, der etwas erklären oder uns trösten könnte.

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