Diskurspopcorn

Die aktuelle Filmkritik:
„After The Hunt“

Ab heute ist Julia Roberts in einem neuen Film zu sehen. Und da man mit RomComs und Komödien schwerlich einen Oscar gewinnt und Roberts in diesem Abschnitt ihrer Karriere noch keinen bekommen hat, erleben wir sie von einer sehr ernsten Seite.

Alma Olsson ist Philosophieprofessorin an der US-Eliteuniversität Yale. Ihre Professur auf Lebenszeit ist in Reichweite, doch dann gerät auf den letzten Metern alles ins Schleudern. Nachts, nach einem Fest im Hause Olsson, steht plötzlich Maggie Price im Hausflur, eine von Almas Doktorandinnen. Sie berichtet völlig aufgelöst davon, wie ihr Dozent Hank Gibson ihr gegenüber sexuell übergriffig geworden sei, nachdem er sie von der Party nach Hause begleitet hat und noch auf ein Glas mit in ihre Wohnung gekommen ist. Alma zögert, dem Mädchen ihre Solidarität zuzusichern, und rät ihr sogar, die Sache für sich zu behalten. Ohne genau zu wissen, was sich zugetragen hat, sieht sie ihren Aufstieg in Gefahr, wenn sie sich auf eine Seite schlägt. Außerdem ist sie mit dem jungen Kollegen Hank in einer On-Off-Beziehung, was ihr loyaler Ehemann Frederik, ein Psychotherapeut, zu dulden scheint. Maggie schweigt jedoch nicht, meldet die Vorwürfe dem Dekan, und Hank verliert seine Stellung. Für Alma und ihre Universität bricht ein gesellschaftlicher Konflikt offen aus, der auf ihrer Party noch ein philosophisches Gedankenspiel gewesen war …

Der Vorspann wirkt wie eine Anspielung: wir sehen die typische Woody-Allen-Schrift vor schwarzem Hintergrund und hören dazu passend einen Song von Tony Bennett. Ich fürchte, das soll ein inhaltlicher Wink sein. Der Eindruck von Leichtigkeit erfüllt sich jedenfalls nicht. Die Heldin Alma Olsson wird wie eine Kranke eingeführt, oder doch wie eine Frau, der ein Zusammenbruch bevorsteht, wenn es so weitergeht. Ihr Mann legt ihr ihre Medikamente auf den Nachtschrank und schleicht sich dann wieder hinaus, um sie nicht zu stören. Dieses morgendliche Ritual ist sehr unheilschwanger in Szene gesetzt. Nach diesem Opening sind wir beinahe überrascht, dass diese Frau in ihrem überaus bewegten Alltag doch so gut funktioniert.

Julia Roberts in dieser Altersrolle zu erleben, ließ mich an Patrick Bahners‘ kluge Überlegung denken, wenn der „Peanuts“-Held Charlie Brown erwachsen geworden wäre, hätte er das Leben des Comic-Büromenschen „Dilbert“ führen müssen. Die federleichten 90er Jahre sind vorbei, und aus der vielseitigen, aber doch beständig zauberhaften Julia Roberts, in deren Charme sich dieses Jahrzehnt noch lange zu konservieren schien, ist eine etwas freudlose, aufgeräumte, pragmatische Frau geworden. Sie ist immer noch unverkennbar Julia Roberts, hat aber zur Seite keinen anheimelnden George Clooney mehr, sondern einen treusorgend-putzigen Gatten, der latent ein erstaunliches Talent erkennen lässt, auch allein zurechtzukommen. Dass sexuell längst nichts mehr läuft, dass es nicht einmal eine wirkliche Freundschaft ist, fängt Frederick mit nachsichtiger Großzügigkeit auf. Michael Stuhlbarg macht diesen Ehemann zur interessantesten Figur des ganzen Films, zur einzigen, die bei aller Schlüssigkeit ein gewisses Geheimnis bewahrt.
Was noch für den Film spricht, ist seine Relevanz. Er ist gesellschaftspolitisch auf der Höhe der Zeit und zeigt uns den längst zur Farce herabgesunkenen Geschlechterdiskurs in all seiner verbohrten Aussichtslosigkeit. Doch dann fangen die Probleme an. Das für jeden Film Wichtigste ist bei diesem ein rechter Murks: das Drehbuch. Es hat keinen Rhythmus, verschleppt den Anfang, lässt ihn in endlosen dümmlichen pseudo-philosophischen Querelen versacken. Die Dialoge – ganz besonders die fachspezifischen, aber beileibe nicht nur sie – lassen das gut besetzte Ensemble im Regen stehen. Der Zorn des beruflich ruinierten Hank wirkt eher wie der Unmut seines Darstellers Andrew Garfield über die tölpelhaften Phrasen, die er zu sprechen hat, und über die verkrampften Kamerawinkel, die sich ihm in die Nasenlöcher bohren. Man spürt jede Minute dieses überlangen, über weite Strecken geschwätzigen Dramas, gerade so, als würde das schicksalhafte, schleppende Ticken, das wir ganz zu Beginn hören, die ganze Zeit durchlaufen.

Julia Roberts spielt untadelig, kommt aber gegen das Material nicht an. Das nach der Präsentation des Films in Venedig sogleich einsetzende, unvermeidliche Geschwätz von der Oscarwürde ihrer Leistung stellte die Ambivalenz ihrer Rolle in den Vordergrund. Leider ermöglicht ihr der Film eben nicht, diese als solche auszuspielen, so blass bleibt ihre Figur in ihrem Bestreben, sich aus allem herauszuhalten. Um ihr etwas Tiefe zurückzugeben, lässt das Buch sie an schlimmen Magengeschwüren leiden, lässt sie selbst ein dunkles Geheimnis hüten, in dem ein sexueller Übergriff eine Rolle spielt, und sie ein schmuddeliges Zimmer bewirtschaften, in das sie sich zurückzieht, um sich mit Hank treffen zu können, oder um … tja, warum eigentlich? Will sie der wohlgeordneten Ehe mit einem Mann entfliehen, der unauffälliger und bescheidener lebt, aber so viel glücklicher ist als sie? Der sie – eine komplett hobbylose Karrieristin – mit seinen vergnügten Kochkünsten beschämt und mit der Freude über seine laut aufgedrehten JohnAdams-Platten? Der sie überdies vor den intellektuellen und charakterlichen Mängeln der Studentin gewarnt hat, deren Förderung Alma nun auf die Füße fällt. Dieser Sache ein wenig (nicht völlig) auf den Grund zu gehen, hätte dem Film die menschlichen Zwischentöne gegeben, die vor lauter Hader und Agitation nicht gedeihen wollen. Die Kontrahenten in diesem Konflikt sind letztlich durchweg schäbige Subjekte und interessieren sich ausschließlich für ihre eigenen Belange, die sie notdürftig mit gesellschaftlichen Botschaften verbrämen. Die Heldin ist da leider keine Ausnahme. Regisseur Luca Guadagnino verhebt sich an seinem Thema und lässt uns mit all den ungelösten – unlösbaren? – Problemen zurück, die uns in der Wirklichen Welt täglich umgeben. Der Slogan auf dem amerikanischen Poster „Not everything is supposed to make you comfortable“ („Nicht alles ist dafür da, damit du dich wohlfühlst“) klingt nach schlechtem Gewissen. Ein fesselndes Drama hat so etwas nicht nötig. Die deutsche Kopfzeile versucht, das Beste draus zu machen: „Wer sagt die Wahrheit?“

Etwas ratlos macht der Schluss, ein angeklebt wirkender „5 Jahre später“-Epilog. Er bietet eine Überraschung, stellt aber auch alles auf den Kopf, was man sich im Kinosessel zusammengereimt hat, neutralisiert es gleichsam, so als sollte sich hier niemand festlegen können, wo die Sympathien hingehören, die man so gern entwickelt hätte. Für mich fühlt es sich an, als wolle der Film mir sagen: wem auch immer du in den letzten zweieinhalb Stunden die Stange gehalten hast, es war Verschwendung. Es ist betrüblich, mit diesem Gefühl aus einem so ambitionierten Film herauszukommen.

Im Podcast auch zum Hören: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/after-the-hunt-aktuelle-filmkritik

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