Nicht zu retten!

betr.: „Superhelden – Übermenschliche Kräfte und einfache Lösungen“, die aktuelle „Lange Nacht“ im Deutschlandfunk von Christian Blees

Die aktuelle „Lange Nacht“ hält im Kern zwei Informationen bereit. Beide sind nicht überraschend, aber hiermit gewissermaßen amtlich, außerdem passen sie ins Bild. A) Superhelden sind nicht länger zum Vergnügen da, sondern hauptsächlich um den allgemeinen miesepetrigen Pseudo-Diskurs mitzufüttern. B) DLF-Kulturfeatures sind nicht länger eine zuverlässig seriöse Gelegenheit, sich über eine schöne Nebensache schlau zu machen – nicht einmal dann, wenn ein so gründlicher und verdienter Altmeister wie Christian Blees vorne draufsteht.

Es beginnt schon mit der unverwüstlichen Falschbehauptung, „Superman“ sei der erste Superheld heutiger Definition gewesen. Er war lediglich der erste, der bis heute populär ist. Dass sein direkter Vorläufer „Doc Savage“ (ab 1933) – der auch sonst für die nachfolgende Popkultur von großer Wichtigkeit war – nicht einmal erwähnt wird, ist nur die erste von vielen Nach- und Auslässigkeiten.
Die Vorstellung, dass zwei Teenager in den USA der frühen 30er Jahre das Gilgamesch-Epos oder die Herkules-Sage so dufte fanden, dass sie darauf einen neuartigen Comic aufbauten, in dem sie ihren „Superman“ auftreten ließen, ist ja auch zu niedlich. Mehr noch aber begeisterten sich diese und andere Halbstarke damals für den Groschenheft-Bronzemann „Doc Savage“, so auch ein gewisser Stan Lee (Marvel Comics), der diesem ebenfalls viel verdankt. Dass den jungen Künstlern Jerry Siegel („Batman“), Jack Kirby und Joe Simon (den Vätern von „Captain America“) außerdem der Golem eine Inspiration gewesen sein mag, wurde u.a. von der PatriciaHighsmith-Biografin Joan Schenkar erläutert (um nur eine beliebige Quelle als Beispiel zu nennen). Der Golem, jenes mythische Kunstwesen aus Lehm, das der Sage nach vom Rabbi Löw geschaffen wurde, um das jüdische Volk zu schützen, hatte über einen weltberühmten Film bereits Eingang in die Popkultur gefunden – und damit in die frühe Superhelden-Comic-Szene, in der es viele jüdische Verleger, Zeichner und Szenaristen gab.
Nichts davon in der „Langen Nacht“! Stattdessen wird uns „Asterix“ als französischer Superheld angeboten und ein kurioser Kraftmensch namens „Hugo Hercules“ ausgegraben (damit es nicht heißt, i n dieser Richtung wäre gar nichts recherchiert worden).

Für eine andere Sache kann der Autor nichts, ich halte eher die Redaktion für die Übeltäterin. Und den Zeitgeist, dem sie sich verpflichtet fühlt. Das Kulturfeature in seiner klassischen Form scheint an sein Ende gekommen. So ist es z.B. nicht länger möglich, darin über etwas so Unschuldiges wie Superheldencomics – „Superheld-Innencomics“, wie es eine Gesprächspartnerin penetrant wiederholt und wiederholt – einfach als vergnügliche Sache nachzudenken, als Kunstprodukt, das zuerst unterhalten möchte. Ungehörig viel Raum nehmen all die soziologischen Implikationen ein, in denen der Gegenstand der Sendung erst zu einem hellgrauen Pulver zerrieben, dann befeuchtet und zu einer streng riechenden Pampe aus Empfindlichkeiten, Bedenken und angeblich wohlmeinenden statistischen Gewichtungen verquirlt wird. Der in der ersten Stunde als O-Ton auftretende Spezialist Wolfgang J. Fuchs († 2020) hat den gesellschaftspolitischen Aspekt in seinem Standardwerk „Comics: Anatomie eines Massenmediums“ (mit Reinhold Reitberger) noch ausgewogener gewürdigt.

Der Typus Superheld soll heute einfach nicht mehr zu viel Spaß machen. Tut er so auch nicht. Mission erfüllt!

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