Let our affair be a gay thing (3)

betr.: Das Musical als schwule Kunstform für alle

Fortsetzung vom 27. Juni 2024

Ab 2003 hatte ich die Freude, an der Joop Van Den Ende Academy, einer luxuriösen Musical-Ausbildungsstätte in der Hamburger Speicherstadt, als Geschichtslehrer zu arbeiten. Die JVDEA war (wie auch die anderen Hamburger Musical-Schulen, an denen ich tätig war) ein gesellschaftspolitisch paradiesischer Ort. Obschon die meisten der männlichen Eleven schwul waren (logisch), wurde auch jede andere Ausrichtung als Normalfall betrachtet. Unter den Dozentinnen und Dozenten herrschte eine ähnliche Statistik und Aufgeschlossenheit.
Und da ich es wichtig finde, die eigene künstlerische Arbeit mit dem gesellschaftlichen Umfeld (also dem Publikum) in Bezug zu setzen, konzipierte ich einem Unterrichtsschwerpunkt zum Thema „Homosexualität und Musical“. Ich rechnete – ähnlich wie meine politisch bewegten Freunde aus Saarbrücken – mit verständigen und lächelnden Mienen, hinter denen der sprichwörtliche Groschen fällt. Da ich bei der Ankündigung das Genre etwas knallig als eine im Kern schwule Kunstform bezeichnete, gab mir meine Klasse das Gefühl, einen frechen Witz gemacht zu haben. Also eröffnete ich die folgende Stunde mit einer kleinen Montage von anschaulichen Filmausschnitten. Es waren Beispiele aus neueren Hollywoodfilmen, in denen das Interesse an Musicalthemen in der schwulen Community verortet wurde, z.B. die Szene aus „Kiss Me Guido“, in der zwei frischgebackene Mitbewohner (ein schwuler Junge und ein Hetero) „The Sound Of Music“ im Fernsehen anschauen, darüber sprechen und den Film „Pretty Woman“ mit Julia Roberts als „eher was für Heteros“ entlarven. Oder eine Sequenz aus „Teuflisch“: Brendan Fraser schließt einen Pakt mit dem Teufel und verwandelt sich in mehrere ganz unterschiedliche Varianten seiner selbst. Als er plötzlich über enzyklopädisches Musical-Fachwissen verfügt, wird ihm klar, dass er schwul ist …
Danach zeigte ich meinen Studenten die üblichen zwischen den Zeilen gay konnotierten Song-Klassiker (beginnend mit „Secret Love“ aus „Calamity Jane“). Ich schilderte tragische schwule Showbusiness-Schicksale (Rex Gildo) oder groteske (Liberace), wies auf die Legion homo- und bisexueller Autoren hin (Porter, Sondheim, Herman, Weill, Bernstein, Noel Coward, Lorenz Hart, Arthur Laurents …). Ich bemühte mich, das Phänomen „Camp“ zu erklären, jene auch für das Hetero-Publikum so beglückende Substanz, die das für jüdische und schwule Künstler überlebensnotwendige Talent zur Selbstironie dem europäischen Konzept der Operette am Broadway hinzugefügt hat und die für das amerikanische Musiktheater ebenso unverzichtbar werden sollte wie die jazzigen Synkopen.
Ich führte den Anfang von „Torch Song Trilogy“ vor (Harvey Fiersteins erhellenden Prolog und die Nummer „Dames“), spielte verkleidete Pride-Songs und hintergründige Soliloquies, führte Shows ins Feld, die nicht so hetero sind wie sie tun u.v.a.m.

Mein Auditorium blieb höflich – und unberaten. Und etwas irritiert. Meine Ausführungen wurden wohl als ein Versuch gelesen, eine persönliche Marotte historisch aufzumotzen (Schauspieldozenten machen sowas ja auch). Als ich das begriff, ließ ich das Thema nach der zweiten Stunde ruhen. Ich habe immer mal wieder darauf hingewiesen, wenn mir homosexuelle Untertöne in den behandelten Werken auffielen, unterließ aber auch das, nachdem mir mein Direktor (ohne Nachdruck und ein wenig achselzuckend) nebenbei erzählte, es sei sich über meinen Homo-Fetisch leise beklagt worden.

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