betr.: 89. Geburtstag von John Buscema
Wer als Comicfreund ein großes Herz hat, fühlt sich mitunter an die Politik erinnert – menschlich verständliche Prioritätensetzung geht nahtlos in Entrüstung und bald in eine Tortenschlacht über, in der die Wahrheit (die nach wie vor irgendwo existiert) eher im Wege ist.
Er ist neben John Romita der zeitloseste Stilist der frühen Marvel-Ära. Kein Körnchen Staub haftet auf diesen Zeichnungen, neben denen selbst die Arbeiten des großen Gene Colan zuweilen wie Werbe-Illustrationen aus den Sixties wirken.* – Giovanni Natale Buscema (11. Dezember 1927 – 10. Januar 2002), hier im Portrait des Williams Verlags (mit einem Marvel-Publicityfoto von 1975).
Als ich bei der Arbeit an einer Reihe für diesen Blog in alten Moebius-Zeitungsausschnitten blätterte, fiel mir ein Artikel aus „Tempo“ in die Hände (– diese „Zeitgeistmagazine“ waren ein Phänomen der 80er Jahre und sind bald nach ihnen ebenfalls zuendegegangen). In diesem Text wurde – zu recht – Moebius‘ Gastspiel in den USA gepriesen. Er hatte sich von Marvel Comics, dazu überreden lassen, den „Silver Surfer“ (einen heute zu Film-Ruhm gelangten kosmischen Heiland) und den dazu passenden Wüterich Galactus zu zeichnen. Das war ein echter Coup, denn Moebius, der das international erfolgreiche Comic-Magazin „Schwermetall“ mitbegründet hatte und den europäischen „Comic für Erwachsene“ geradezu verkörperte, desertierte nun zu Stan Lee, der das absolute Gegenstück zum frankobelgischen Comic (zumal dem für sexuell erwachte Leser) repräsentierte, das Superheldengenre. Moebius‘ frühere Weggefährten rümpften die Nase. „Schwermetall“-Mitbegründer Philippe Druillet verhöhnte die „gelangweilten“ Amis ob ihrer schwanzlosen Muskelmänner, und der Filmemacher Alejandro Jodorowsky rief in einer später entstandenen Doku gar aus: „Superman finde ich zum Kotzen, Batman und das alles, dieses ganze Imperium, diese Religion! Es ist sehr wichtig, dass die Superhelden immerfort leiden! Das ist mir so dermaßen wurscht! Ich scheiße auf die USA!“
(Wir wollen nicht vergessen, dass der Comic eine in den USA entstandene Kunstform ist und dass es spätestens seit Robert Crumb und aktuell z.B. durch Charles Burns durchaus auch US-Comichelden mit Geschlechtsorganen gibt.)
Diese Flüche hatte auch ihre komische Seite. Ein Gedankenspiel aus dem „Tempo“-Artikel von Christoph Dallach nahm ich allerdings persönlich. Da heißt es: „Als John Buscema dem Surfer 1968 eine eigene Reihe widmete, beschränkte er die grafische Gestaltung auf ganzseitige Zeichnungen, sogenannte ‚Slash-Pages‘. Leider vergaß er, die Leser auf seine außerirdischen Trips mitzunehmen. Sie reagierten mit Surfer-Boykott und zwangen den Helden zur Bruchlandung.“
Augenblick! Es wurde sich keineswegs auf Slash-Pages** beschränkt, sie waren ein wohlerwogenes Stilmittel. Der Rezensent hatte den klassischen „Silver Surfer“ offensichtlich nie in der Hand. Ihm fiel einfach kein anderer Weg ein, Moebius zu huldigen, als der, den Vorgänger (weiter unten noch mit den Worten „schlecht gezeichnet und miserabel getextet“) verächtlich zu machen. Damit lag und liegt er durchaus im Trend dieser Auseinandersetzung: das angeblich noch Schlechtere ist notwendig, um das Gute gernhaben zu dürfen. Für den Comic heißt das: Wer Funnies mag, darf keine Abenteuergeschichten mögen, wer erotische Comics aus Frankreich liest, hat den amerikanischen Kram gefälligst hinter sich, und die meisten lesen in ihrer Jugend sowieso nur „Asterix“ – und lassen später auf ewig die Finger von Bildergeschichten.
Natürlich ist auch mir der Feierabend heilig, und ich kann mich kriminal ärgern, wenn ich mal wieder einen Fehlkauf vor der Nase habe. (Einer der übelsten war der umjubelte „Jimmy Corrigan“ von Chris Ware, der in der „Literarischen Welt“ zutreffend als „Folterbuch“ bezeichnet wurde.)
Und zugegeben: auch ich finde Superhelden zur Zeit reichlich überrepräsentiert; sie sind eben der aktuelle „heiße Scheiß“ im Kino – eine üble Sache, gerade diese vielen Marvel-Typen. Aber einst waren diese Herren und Damen das pfiffigere Pendant zum schon damals drögen Alleskönner „Superman“.
Und wer jemals irgendein später verfilmtes Buch gelesen hat, der weiß es längst: die literarische Vorlage behält ihre Vorzüge.
Über alledem steht John Buscema, der ein seiner Glanzzeit einem Namen alle Ehre machte, den ihm seine Kollegin Marie Severin 2002 verlieh: „Michaelangelo der Comics“.
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* Nichts für ungut – ich persönlich liebe Werbe-Illustrationen aus den Sixties!
** Inzwischen wird der Einsatz der Slash-Page übertrieben – wie alles, was in der Postmoderne ein paarmal gutgegangen ist. (Aber dafür kann Mr. Buscema ja nichts.)
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