Das Programm ist nicht verfügbar! (Grummelsmiley)

betr.: MeToo-Debatte / DIE ZEIT / DER SPIEGEL 6/2018

Die Regel, dass das Internet nichts vergäße, wird in nächster Zeit auf eine Probe gestellt werden. Der Furor der Sexismusdebatte schlägt bereits erste Schneisen in die mediale Landschaft. Bisher hat es vor allem Kleinkram getroffen: im linearen Fernsehen wird die Serie „Derrick“ nach Aussage des ZDF künftig nicht mehr laufen, seit sich Horst Tappert posthum als SS-Mann entpuppt hat. (Die DVDs werden noch verkauft.) Auch die Shows mit dem BBC-Horrorclown Jimmy Savile (dessen systematisches Misshandeln von hauptsächlich minderjährigen Opfern beiderlei Geschlechts zu seinen Lebzeiten ohne juristische Folgen blieb) werden sicher nicht wieder im TV-Programm auftauchen* – allenfalls als sekundenlange Flashbacks in jener Enthüllungs-Doku, die bislang aussteht.
Seit Harvey Weinsteins Verfehlungen den Machtmissbrauch in der Medienbranche zu einem Schlagzeilen-Thema gemacht haben, sind nun aber zunehmend abendfüllende Kunstwerke von einigem Rang bedroht. Die „ZEIT“ fragt im aktuellen Aufmacher „Darf man diesen Film noch zeigen?“ (dazu ist ein Szenenfoto aus Woody Allens „Stadtneurotiker“ zu sehen) und weitet die Frage im Artikel dazu noch auf andere Künstler und Objekte aus. Es ist sogar Platz für eine kurze professionelle Ehrenrettung von Dieter Wedel, der für seine Vorwegnahme eines HBOhaften Erzählstils gewürdigt wird. – Nichts für ungut, aber da war Robert Stromberger nicht nur früher dran, er hatte auch den längeren erzählerischen Atem.

Vielleicht hilft uns die frische Erinnerung an die die jahrzehntelange moralische Debatte um das Werk Richard Wagners – der lange vor Auschwitz lebte, aber sehr germanozentrisch dichtete und komponierte und antisemitische Hetzschriften in die Welt setzte. Zuletzt schien es mir, als würde angesichts seiner Musik eine allgemeine Versöhnlichkeit überwiegen. Schließlich hat sogar der Holocaust-Überlebende und Klassik-Liebhaber Marcel Reich-Ranicki wiederholt dafür geworben, die Musik nicht mit der Persönlichkeit ihres Schöpfers zu verwechseln. Im aktuellen „Spiegel“ wirbt der Schauspieler Ulrich Tukur dafür, es auch mit Wedels Arbeit so zu halten.
Bei Wedels Mehrteilern hält sich meine persönliche Sorge in Grenzen, aber wenn es um die mögliche Ächtung des Werkes von Woody Allen oder Roman Polanski geht, laufe ich rasch zum DVD-Regal, um nachzählen, ob noch alles da ist.

Auch falls die MeToo-Debatte langfristig nicht zu einer Verbesserung der beklagten Verhältnisse führen sollte (denn erwachsene Männer wussten sich noch immer zu verschaffen, was sie haben wollen), steht fest: sie wird dem quasimoralisch entrüsteten Kleinbürger in seinem (jeweiligen) heiligen Amoklauf weiteren Auftrieb geben. Und das werden vor allem Nachbarn, Briefträger, Lehrerinnen … ausbaden müssen, keine tyrannischen Lustmolche aus der Medienbranche.
Vor einigen Tagen erzählte mir ein Freund von Eltern in seinem Umfeld, die sich einer Art Bürgerwehr angeschlossen hatten. Eine Lehrerin hatte einem beständig störenden Kind für fünf Minuten ein Pflaster auf den Mund geklebt und es damit wohl schwer verletzt und traumatisiert. Die Eltern geben sich nicht mit der erfolgten Strafversetzung dieser Lehrerin zufrieden, sie betreiben nun ihre restlose Vernichtung als Pädagogin – und als Individuum. Theaterfreunde kennen diese Situation aus dem amüsanten Theaterstück „Frau Müller muss weg“. Vielleicht ist das Stück ja gar nicht so amüsant, aber immerhin hat es ein Happy-End.

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* Zuletzt sah man einige Folgen von „Top Of The Pops“ (1976) mit Jimmy Savile in dessen Todesjahr 2011 auf EinsFestival. Da ahnte die Öffentlichkeit noch nichts von seinen Untaten.

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