Geschichte des Komiker-Handwerks (49)

betr.: Übergangszeit von Kabarett zu Comedy (90er Jahre)

Fortsetzung vom 25.10.2020

Gelächter auf entlegenen Gehöften

Auch unter den Hausverwaltern der Kleinkunst fanden sich solche, die den frischen Wind als einen widrigen empfanden.
Michael Mittermeier kannte ich aus Hamburg, wo wir zum informellen Ensemble von Thomas Hermanns gehörten. Michaels große Karriere stand noch bevor, und er wäre gerne im „Unterhaus“ aufgetreten. Ich gab das bei meinem nächsten dortigen Gastspiel an den Direktor Ce-eff Krüger  weiter. Der lehnte die Empfehlung brüsk und unbesehen ab, ganz im Sinne der o.g. Historikermeinung.* Seine Nachfolgerin hat mir später immer wieder erzählt, der gute Ce-eff habe sich in den restlichen Jahren seines Amtes vor Wut in den Allerwertesten gebissen, dass er Mittermeier nicht gebucht hat, als es noch möglich gewesen wäre.

Für die Humoristen selbst ist es noch schwerer, gelassen zu bleiben. Mir ist übrigens niemand Gelasseneres begegnet als Lutz von Rosenberg Lipinksy. Er sagte vor knapp 30 Jahren zu mir: „Ich trete einfach möglichst jeden Tag irgendwo auf. Irgendwann haben mich alle Menschen gesehen, dann bin ich auch berühmt!“ (Er hat das tatsächlich durchgezogen!)
Abgesehen davon ist Fernsehpräsenz schon immer hilfreich gewesen, um Tickets zu verkaufen. In der frühen Comedy-Ära wurde sie geradezu notwendig. Auch die winzigsten „Bühnen“ legten großen Wert darauf  (das waren mitunter Scheunen, zugige Keller oder schmucklose Seminarräume, wo man zu ebener Erde vor Plastikstühlen auftrat; die „Comedy-Clubs“ entstanden erst viel später).
Die Referenz der Ausstrahlung wurde nun auch von Künstlern verlangt, die schon einige Jahre lang getingelt waren. Zwischen ihnen und dem Publikum steht nun einmal der jeweilige Veranstalter.

Bis in die späten 70er Jahre war es üblich, sich mit Fotokopien positiver Presseberichte bei einer Kleinkunstbühne zu bewerben; eine gönnerhafte Kritik in einer Kreiszeitung war immer noch besser als gar keine.
Dann begann das Zeitalter des Videorecorders, und ab Mitte der 80er wurde man immer häufiger gebeten, eine Cassette einzuschicken. Das verweigerte ich konsequent, denn private Videomitschnitte waren unter den damaligen technischen Voraussetzungen entsetzlich schmachvolle Dokumente (vor allem akustisch, was eine große Rolle spielt, wenn man ohne Aufwand und mit viel Sprache arbeitet). Die Veranstalter sagten gerne: „Das kann ich relativieren!“ Das war gelogen. Die Bänder sahen grauenhaft aus, und kein Betrachter konnte sich diesem Eindruck entziehen!
Mitte der 90er Jahre brachen wieder neue Zeiten an. Die Veranstalter wollten nun keine Cassetten mehr, sie baten um Sendetermine.

Immerhin erwies sich ein alter Zwist allmählich als gegenstandslos: der Verweis des Kabaretts auf den hinteren (bzw. historisch früheren) Platz war doch eher eine Formsache. Vom Siegeszug der Comedy im damals wichtigsten Massenmedium Fernsehen profitierte letztlich auch das Kabarett.
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* Siehe dazu die Folge (48): https://blog.montyarnold.com/2020/10/25/16872/

Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vincit“

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