Science-Fiction Double Feature – eine Mülltrennung

betr.: 107. Geburtstag von Alfred Vohrer

Es müsste lustig sein, dachte ich, den Trash der Sixties aus der Wirtschaftswunder-Bundesrepublik mit dem der USA zu vergleichen, also die letzten mutigen Verrenkungen von „Opas Kino“ mit den Nebenprodukten, in denen das alte Hollywood seine früheren Stars recycelte.
Als Beispiele wählte ich „Wartezimmer zum Jenseits“ und „Er kam nur nachts“. Beide Filme sind in Schwarzweiß und Breitwand und wurden 1964 von Meistern dieses Fachs inszeniert: „Wartezimmer“ von Alfred Vohrer, einem Lieblingsregisseur Quentin Tarantinos, „Er kam nur nachts“ vom B-Movie-Mogul William Castle. Auch die Figurenkonstellationen ähneln einander.

Die Schurken: zwei der bösesten alten weißen Männer des Filmjahres 1964

Wartezimmer zum Jenseits

Der reiche Sir Cyrus Bradley muss sterben, weil er sich nicht vom Verbrechersyndikat „Schildkröte“ erpressen lassen will. Der Student Don Micklem, sein Neffe und Erbe, sinnt auf Rache. Gemeinsam mit seinem Busenfreund Harry folgt er der Spur nach Triest. Dort trifft er eine mysteriöse Schönheit wieder, die ihm schon in London begegnet ist. Laura ist die Geliebte des Ober-Erpressers, der als angesehener Marchese di Asconi in einem Traumschloss residiert. Doch ihre Rolle in der Affäre ist komplizierter. Der Showdown findet in den Keller-Korridoren der Asconi-Villa statt.

Er kam nur nachts (The Night Walker)

Zwei Liebende begegnen sich in den Träumen von Irene. Doch ein Dritter spukt dazwischen: es ist ihr eifersüchtiger Gatte. Die Visionen hören auch dann nicht auf als Irene nach dem Tod ihres Mannes bei einer Labor-Explosion in eine kleinere Wohnung umzieht. Und noch etwas beschäftigt sie: ist ihr Mann wirklich tot, oder wurde er nur grausam entstellt? In ihrer Not wendet sich Irene an den befreundeten Anwalt Moreland. Der erzählt ihr, dass ihr Mann sie von einem Detektiv beschatten ließ. Als Irene die Besuche ihres mysteriösen jungen Verehrers zunehmend real erscheinen, erfährt sie noch weitere hässliche Details.
Das Finale erleben wir mit ihr gemeinsam im verwüsteten Labor …

Fazit

Der deutsche Beitrag ist erkennbar das Ergebnis der größeren finanziellen und handwerklichen Kraftanstrengung. „Wartezimmer zum Jenseits“ will zwar nichts als reine Unterhaltung sein, sich aber von den seriellen Gruselkrimis der „Edgar Wallace“-Reihe durch eine besonders illustre Besetzung und attraktive Schauplätze abheben. „Er kam nur nachts“ hat ein kleines Budget und ist von gemächlicher Routine – was bei einem Universal-Thriller keinen Nachteil bedeuten muss.
Die „Stunts“ von Götz George waren damals wirklich ernst gemeint und Ausdruck von „Weltniveau“ (wie man im Osten gesagt hätte), was einem heutigen Publikum schlichtweg nicht mehr zu vermitteln ist. Die Amis wissen, wo der Knopf für die Nebelmaschine ist und dass der Nebel auch nicht besser aussieht, wenn man beim Knopfdrücken Stirnfalten macht. Außerdem verzichtet man hier auf funktionelle Maßnahmen wie die lustige Nebenrolle, die in der deutschen Produktion einmal mehr Hans Clarin zufällt. Er muss jedes heldische Pathos (das der Held nicht selbst mit betonter Lockerheit sabotiert) mit gekrächzten Witzchen ausbremsen. Barbara Stanwyck, die in „Er kam nur nachts“ ihre letzte Kino-Rolle spielt (ehe sie dann im Fernsehen eine großartige Schauspielerin blieb), ist wirklich verängstigt und dem Wahnsinn nahe. Man ahnt früh, was sich schließlich herausstellt: sie ist verraten und verkauft. Die Szenen mit den Puppen in der nächtlichen Kapelle sind haarsträubend, aber die Szene wirkt zutiefst ungemütlich.
   Sehen wir uns die bösen Ehemänner näher an! Beide sind stinkend reich aber nicht mehr jung und körperlich angeschlagen. Aus dieser Zumutung beziehen sie jeweils die Motivation für ihre Verkommenheit. Der deutsche Kollege wird in einen Rollstuhl gesetzt und trägt eine dunkle Brille. Da er diese jedoch gar nicht braucht, setzt er sie ständig auf und ab (eine bezeichnende Nachlässigkeit). In seinem Hauptquartier ist es immer hell, weil er an der Adria wohnt, einem Sehnsuchtsort besonders des damaligen Publikums.
Sein US-Gegenstück ist blind, trägt aber keine dunkle Brille, sondern lässt uns in seine kalten pupillenlosen Augen blicken. Seine Gebrechlichkeit kann er ohne Rollstuhl schauspielerisch besser vorführen, sein schon vor der Explosion furchterregendes Gesicht wurde offensichtlich am Schminktisch geschaffen (der deutsche Film vergeudet diesen Effekt an eine Handlangerfigur), aber das akzeptieren wir schon wegen der Dunkelheit, die in seiner Behausung herrscht.
In allen Trash-Krimis kommt der Zeitpunkt, da die Logik nicht mehr zu retten ist und man als Konsument bereit sein muss, die Mätzchen mitzumachen. Die Kunst besteht darin, das Unausweichliche möglichst lange hinauszuzögern. „Er kam nur nachts“ schlägt sich bis zur absurden „Auflösung“ recht wacker. Der deutsche Film zerlegt sich bereits zu Beginn des zweiten Aktes, als die beiden Helden aus überladenen Atelierkulissen und dem düsteren London nach Italien wechseln. Eine ganz neue Atmosphäre muss etabliert werden, und Hildegard Knef hat zunehmend Mühe ihre unlogisch konzipierte Rolle zusammenzuhalten, in der sie gleichzeitig eiskalt und zerrissen, gefährlich und gefährdet, geldgierig und von edler Gesinnung sein soll. Das titelgebende „Wartezimmer zum Jenseits“ wird gegen Ende sehr gut eingeführt, doch da ist schon nichts mehr zu machen. Zu Beginn ist der Unterhaltungswert beider Filme ähnlich hoch, wobei Robert Blochs Dialoge beim Streit der Eheleute ein ganz anderes Niveau haben als Herbert Reineckers Familiendiskussionen in britischen Adelskreisen.
Besonderen Spaß machen diese Kabinettstücke in angenehmer Gesellschaft und als Double-Feature.

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