Tyrann mit besonderen Vorzügen

betr.: 55. Todestag von Sig Ruman

In zwei tragenden Nebenrollen hat sich der wuchtige Sig Ruman als prächtiges, joviales Scheusal in die Filmgeschichte gespielt. Beide Male (und noch häufiger) hat er in Hollywood einen Nazi dargestellt – was in dieser Generation deutscher Schauspieler, die keine Nazis mochten, nicht ungewöhnlich ist. Doch seine Performance ist Lichtjahre entfernt von dem, was man sich unter dem Eindruck frischerer Beispiele wie „Schindlers Liste“ oder „Inglorious Basterds“ darunter vorstellt. Rumans Herrenmensch wäre in Friedenszeiten einer dieser beinhart gutgelaunten Verwandten / Nachbarn / Kollegen / Kegelbrüder gewesen, die immer einen (schlüpfrigen) Witz auf den Lippen haben und ihr gesamtes Umfeld dazu nötigen, mit ihnen zusammen kleine Schnäpse zu saufen – eine unangenehme aber nicht weiter gefährliche Type also. Rumans „Konzentrationslager-Ehrhardt“ in „Sein oder Nichtsein“ (1942) und sein hinterhältiger Lagerkommandant Johann Sebastian Schulz in „Stalag 17“ (1953) kommt jedoch als verlängerter Arm eines menschenverachtenden Systems daher, und das ist natürlich alles andere als harmlos. Dabei ist er sich selbst so sympathisch, dass er das auch von denen erwartet, die in seiner Gegenwart um ihr Leben fürchten müssen.
Zeitzeugen und Historiker haben den fülligen Reichsmarschall Hermann Göring  so ähnlich beschrieben, Robert Louis Stevenson hat mit seinem Long John Silver eine derartige Figur schriftlich ausdefiniert. Sig Ruman erweckte diesen Typus auf der Leinwand zum Leben, auf dass wir ihn aus sicherer Entfernung studieren können – und dabei sogar unseren Spaß haben.
Es steht für mich außer Frage, dass sein Auftritt in „Sein oder Nichtsein“ für Joshua Sobols „Ghetto“ Pate gestanden hat. Darin lässt der Dramatiker den SS-Offizier Kittel sein sadistisches Unwesen treiben, der von den Lagerinsassen (!) dafür gemocht werden will, dass er jüdischen Humor, Jazz und Gershwin liebt.  Sig Ruman hätte diesen Charakter bei aller Bedrohlichkeit zu einer komischen Figur machen können und jeden Zwischenton millimetergenau getroffen. Der gebürtige Hamburger Siegfried Ruman ging, nachdem er auch in Operetten gespielt hatte, 1924 in die USA, spielte am Broadway und war ab Mitte der 30er Jahre regelmäßig in Filmen zu sehen, so etwa als temperamentvoller Chef der Operngesellschaft in „Die Marx Brothers in der Oper“. Jüdische Komödienregisseure wie Ernst Lubitsch, Billy Wilder und Jerry Lewis haben ihn gern immer wieder besetzt. Neben den tobenden Nazis waren Wissenschaftler und medizinische Kapazitäten sein Spezialgebiet, und das sogar in dramatischen Filmen. Auch seine Darstellung des Paul von Hindenburg war eine seriöse Leistung. Er war also auf die „teutonische, explosive, augenrollende Edelcharge“ (wie es ein Personenlexikon des Kinos treffend bemerkt) nicht festgelegt.

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