Ewiger Ruhm dem Tyrannen

betr.: Vorführung des Films „Für mich gab’s nur noch Fassbinder – Die glücklichen Opfer des Rainer Werner F.“ von Rosa von Praunheim heute abend um 19.30 im Programmkino Abaton in Hamburg

Beim Wort Autorenfilmer denken wir zuerst an Namen wie Werner Herzog, Wim Wenders, Alexander Kluge, Herbert Achterbusch. Erst beim kurzen Innehalten wird uns klar, dass zwei Herren in diese Liste gehören, die in gewisser Hinsicht noch relevanter sind: Rainer Werner Fassbinder und Rosa von Praunheim. Na klar, die hätten einem eigentlich als erste einfallen müssen.
Taten sie aber nicht. Warum nicht?
Vielleicht gerade deshalb, weil sie ganz besondere Exemplare sind, die gleichsam jeder für sich ihr eigenes Genre bilden.
Beide – Fassbinder und Praunheim – sind bzw. waren schwul, traten in den hochpolitischen 68er Jahren in Erscheinung und wurden rasch zu der Marke, die sie bis heute geblieben sind. Und sie waren ungeheuer fleißig. Sie bespielten fast alle erzählenden Medien ihrer Zeit, aber allein ihr filmischer Output ist beachtlich – bei Fassbinder sind es 44 Stück in 16 Jahren, was einem Body-Work-Index von 2,75 entspricht, bei Rosa ungefähr 180 in 54 Jahren – ein Index von 3,3.
Da hören die Vergleiche dann aber auch wieder auf.

Sehen wir uns zunächst Rosa von Praunheim etwas genauer an.
Als ich von Felix Grassmann eingeladen wurde, heute abend einem Film von ihm zu präsentieren, den ich mir sogar selber aussuchen darf, musste ich keine Sekunde überlegen. Diesen hier halte ich für einen seiner besten, und weil Rosa von Praunheim – wie erwähnt – so immens fleißig ist, ist „Für mich gab’s nur noch Fassbinder“ aus dem Jahre 2000 dennoch tief in der Obskurität versunken und wird selten aufgeführt. Ich kann also die unbescheidene Hoffnung hegen, dass auch die heute erschienenen Praunheim-Aficionados ihn möglicherweise bisher verpasst haben. Außerdem kennen die meisten Rosa von Praunheim als – richtig! – als Autorenfilmer, und damit sind in aller Regel die Hersteller von Spielfilmen gemeint. Rosa von Praunheim ist aber eben auch Dokumentarfilmer, und seine Beiträge gehören heute – da Dokus mit Hilfe des Internet und den Budgets von TV-Anstalten ausgestoßen werden wie eine Kette von Würstchen – unbedingt zu den besseren. (Praunheim pflegt und beherrscht übrigens auch das Genre zwischen Doku und Spielfilm: das Dokumentarspiel. Dafür wird sich in dieser Reihe sicher später noch Zeit finden.) 
Ich persönlich mag Rosas Dokus sogar noch lieber als seine Spielfilme. Denn seine Spielfilme haben immer nur ein Thema: Rosa. Und da kennt man sich irgendwann so gut aus, dass man die Sorgfalt bewundert, mit der er von anderen Dingen erzählt (zum Beispiel von diesem schönen Kino).

Nun zu Rainer Werner Fassbinder und zu dem, was ihn mit seinem Portraitisten Rosa von Praunheim bei allen Gemeinsamkeiten eben nicht verbindet.
Zunächst einmal ist Fassbinder schon mit 37 gestorben. Und das war kein Zufall. Er trieb mit seinem Körper jenen Raubbau aus Drogen, Fusel, langen Nächten, Deodorantverweigerung und aufreibenden Sexpraktiken, der von gehörig Welt- und Selbstekel zusammengehalten wurde und der sonst vor allem Rockmusiker auszeichnet. Auch Rosa wird sich sicher geschmeichelt fühlen, wenn man ihn eines solchen Lebenswandels verdächtigt, doch seine Langlebigkeit ist der Gegenbeweis … vielleicht ist er doch in Wahrheit ziemlich solide.
Rosa ist umstritten, während Fassbinder mit traumfestem Tunnelblick unentwegt gerühmt und abgefeiert wird – vom Feuilleton, von den Historikern, von den jüngeren Kollegen und ganz besonders von seinen „Hinterbliebenen“. Wer es wagt, die Qualität eines Fassbinder-Films in Frage zu stellen – einen dieser Filme, die doch so betont publikums-missachtend und in frivoler Geschwindigkeit heruntergekurbelt wurden -, der wird sofort als Banause abgemeiert. Über Rosas geschmackliche Entgleisungen – gewiss, auch solche gibt es immer wieder – kann man sich hingegen allerorten gut das Maul zerreißen.
Die Fassbinder-Fans werden vielleicht nicht zugeben, wie lange es her ist, dass sie tatsächlich einen Fassbinder-Film in voller Länge gesehen haben, aber sie wissen aus dem Kopf, wie wichtig und revolutionär, wie frech und wagemutig sie doch waren, wie viele Preise sie gewonnen haben überall auf der Welt. Und sie werden nicht gerne daran erinnert werden, dass die frühe Bundesrepublik ein unermesslich piefiger, kleinkarierter Ort  war. Es gab keinen dankbareren Posten in der Kulturlandschaft der Bonner Republik als den des Bürgerschrecks, des Provokateurs. (Das wusste z. B. auch Klaus Kinski.) Rosa von Praunheim hingegen hat im physischen Sinne etwas gewagt, als in jenen Tagen mit offen schwulen Sujets vor sein Publikum trat. Er ist in mehrfacher Hinsicht ein Überlebender. Dass er diese Attitüde bis heute nicht lassen kann – geschenkt.

Was im folgenden Film eingefangen wurde, ist ein Phänomen, das mich an Rainer Werner Fassbinder fasziniert. Es ist die hündische Ergebenheit von großenteils fähigen Schauspielern, Musikern, Kameraleuten, Bühnenmalern und Autoren beiderlei Geschlechts, die bis ans Ende ihrer Tage von grauenvollen Dingen berichteten, die sie mit Fassbinder erlebt hatten, um dann in das Fazit auszubrechen: Er war der größte! Er war ein Gott! Einer wie er wird nimmermehr in Fleisch und Blut auf Erden wandeln.
Fassbinder konnte so asozial, faul und sadistisch sein wie er wollte: nichts als Huld und Aufopferung schlugen ihm entgegen vonseiten seiner „dankbaren Opfer“ wie es im Untertitel des heutigen Films so sinnig heißt.
In Wollust, ließen sich die Insassen der Fassbinder-Factory gegeneinander aufhetzen, in Konkurrenzkämpfe verwickeln und alle Selbstachtung in der Toilette abspülen, ließen sie sich zu zombiehaften Laienschauspielern in hölzernen Dialogen degradieren und bekamen dafür die größte internationale Sichtbarkeit.
Wie sie nun Rückschau halten, wie selig und dankbar sie auch knapp 20 Jahre nach ihrer Freilassung sind, das hat Rosa von Praunheim mit Sorgfalt und langen Einstellungen in ewige Sicherheit gebracht.
Freuen Sie sich jetzt auf einen Film, der Fassbinder-Fans, -Veteranen, -Hörige, -Hasser, -Novizen und -Ignorierende gleichermaßen entzücken wird.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Gesellschaft, Hommage, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert