Vom Verschwinden der Bahnhofskinos

betr.: Mediengeschichte

Analog zum B-Film der US-Kinokultur lässt sich bei uns das Phänomen der Bahnhofskinos ausmachen. Im Gegensatz zum amerikanischen Modell folgte hier nicht ein klein budgetierter Film auf einen großen (also ein B auf ein A), es wurden ausschließlich schmuddelige Produkte gezeigt, die hier ein Publikum mit adäquaten Erwartungen vorfanden. Der stets etwas hochmögende Pier Paolo Pasolini (offiziell ein Vertreter des Arthaus-Kinos) hat ganz gut beschrieben, wo sich diese Filme abspielten: „im Höllenkreis der Leidenschaften, der Exkremente und des Blutes“ (also: Sex, Scheiße, Tod). 
Als Mitte der 90er Jahre diese Art von Kinos endgültig verschwanden, war es auch mit der betreffenden Art von Filmen vorbei: „Nach der Lockerung der Zensur, der Einführung des Privatfernsehens und der Erfindung des Internets ist solches Exploitation-Kino obsolet geworden. Die Italiener waren auf dem Gebiet besonders erfinderisch: Sie erfanden den Kannibalenfilm, den Splatterfilm und mit der Mondo-Filmreihe auch die sogenannten Shockumentarys. (…)Ein besonders beliebtes Genre bei den katholischen Italienern waren Filme mit Nonnen – sogenannte Nunploitation.“ (Christoph Dompke)

Dabei hatte das erwähnte Privatfernsehen sein Programm zunächst (also in der zweiten Hälfte der 80er Jahre) sogar bevorzugt mit solchen Filmen bestritten – zum einen, weil sie günstig zu haben waren, zum anderen weil ihre Zuseher sich über ein paar Obszönitäten freuten, die sie bei ARD und ZDF nicht bekamen.
Die Begeisterung des Filmemachers Quentin Tarantino für den „europäischen Film“ geht zu einem erheblichen Teil auf genau diese besondere „Qualität“ zurück. In den von Pasolini skizzierten Höllenkreis wagten sich die B-Movies der USA nämlich nicht vor.

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