Woody Allen über Comedy

Die Veröffentlichung von Woody Allens Autobiographie vor zwei Jahren wurde vom einem Diskurs begleitet, in dem einige unserer guten Sitten aussetzten (etwa die Unschuldsvermutung oder die Ächtung der Zensur). Worum es in dem Buch hauptsächlich ging – das beachtliche Lebenswerk eines gefeierten Unterhalters – geriet dabei gründlich aus dem Blick.
Uns soll heute interessieren, was Allen (verteilt über sein Buch) über Stand-up-Comedy zu erzählen hat – als einstiger Beteiligter wie auch als heutiger Betrachter:


„Special Material“ ist ein eigener Zweig des Comedy-Schreibens, mit dem keine Lorbeeren zu verdienen sind und der vom Publikum kaum wahrgenommen wird. Es gibt Millionen Comedians, oder zumindest gab es sie, als ich begann. Sie traten in Nachtclubs auf, im Fernsehen oder auf privaten Veranstaltungen, und alle brauchten sie Material: Witze, Stücke, Handlung, irgendetwas, was sie sagen konnten. In der Regel waren sie nicht sehr gut, was der Umstand beweist, dass sie andere Leute brauchten, die ihnen Worte, komische Worte, in den Mund legten. Ohne fremde Hilfe hätten die noch nicht einmal einem Irren auf Lachgas ein Kichern abringen können. Die wirklich Begabten wie Mike Nichols, Elaine May, Mort Sahl oder Jonathan Winters hatten das nicht nötig. Sie brauchten sich keine Witze zu kaufen; sie schrieben sich ihr Material selbst, weil sie von Natur aus komisch waren.
Auch die Ikonen einer früheren Ära, etwa Bob Hope und Jack Benny, hatten sich ihre komischen Bühnenrollen selbst geschaffen; als sie dann Superstars waren, konnten sie Gagschreiber engagieren, die ihnen Futter für diese Figuren lieferten. Mit meinen ganzen Kollegen, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls damit bestritten, mittelmäßigen Möchtegern-Comedians dienstfertig den Wurm der Komik in die aufgesperrten Schnäbel zu legen, war ich also damit beschäftigt, Special Material zu liefern. Ständig saß ich in irgendwelchen Nachtclubs und hörte mir das traurige Gegreine eines uninspirierten Conferenciers an, der nicht begreifen konnte, warum er nur unter ferner liefen rangierte. „Ich brauch einen eigenen Stil. Ich hab keinen eigenen Stil. Alan King hat seinen Stil. Ich muss auch einen Stil haben.“ Was er brauchte, konnte ihm kein Schreiber geben. Wir verkauften den Comedians nur ein paar Witze oder eine „Routine“, die sie auswendig lernten und mit unterschiedlichem Geschick darboten, aber nichts blieb da jemals hängen. Die Zuschauer gingen nach Hause, ohne etwas mitzunehmen – keine Erinnerung an einen Menschen und schon gar nicht an einen komischen Menschen. Da war nur ein extrovertierter Wicht, der sich ein paar Gags gekauft hatte, auf die Bühne ging, ein bisschen Lachen und Applaus einheimste und sich dann fragte, wo der „Durchbruch“ blieb.
Trotzdem verdanken viele von uns, die wir noch am Anfang standen, diesem Special Material, dass wir was zum Beißen hatten, wenn es auch oft ein hartes Brot war. Oft lief das so ab: Comedian und Schreiber sammeln Ideen. Comedian braucht neue „Routine“. Schreiber produziert Ideen. Comedian mag eine. Comedian bezahlt Schreiber. Autor schreibt Material für Comedian. Comedian versucht es. Zündet nicht. Comedian macht Schreibers Schreiben verantwortlich. Schreiber macht Comedians Darbietung verantwortlich. Stress. Comedian verliert Anzahlung. Ein paar hundert Dollar sind futsch. Es folgen Beleidigungen und Prozessandrohungen oder zwei gebrochene Beine, je nach Gewissenslage des Comedians.

Wenn ich an die Jahre zurückdenke, in denen ich in Nachtclubs aufgetreten bin, muss ich sagen, dass mir die heutigen Komiker und Komikerinnen haushoch überlegen sind. Meine einzigen Kritikpunkte sind zum einen, dass viele von ihnen unnötig derb sind. Wohlgemerkt, unnötig. Ich habe nichts gegen deftige Ausdrücke, wenn sie einer Nummer etwas hinzufügen, aber in Anbetracht der sprachlichen Befreiung in den Sechzigern ist es peinlich, wenn jemand sein Programm mit alten, einst schmutzigen Wörtern spickt. Viele glauben offenbar, damit cool oder provokativ zu wirken, oder auch frech und unbekümmert, dabei könnten sie einfach dasselbe Material bringen und normal sprechen, um zu erreichen, was sie mit ihren schmutzigen Wörtern zu erreichen glauben. Es wirkt oft so gezwungen und schwerfällig. Und zum anderen ist da das neue Klischee des Auftritts: Zu meiner Zeit kam ein Komiker auf die Bühne und sagte „Guten Abend, meine Damen und Herren“. Es waren zumeist Männer, oft im Smoking. Aalglatte Jungs, die aus dem Ärmel feuerten, ihre Witze selbst unglaublich komisch fanden und zum Abschluss vielleicht noch ein Liedchen sangen: „That’s why I say – When you’re smiling …“
Die heutigen Klischeekomiker kommen raus, nehmen das Mikrofon vom Ständer, um damit auf der Bühne herumzutigern und ihren Text hineinzubrüllen, und dann, Gott im Himmel, gehen sie zu einem Stuhl oder Tischchen in der Bühnenmitte, auf dem eine Flasche Wasser steht, aus der sie ab und zu trinken. Wo kommen plötzlich all die durstigen Komiker her? Ich habe noch nie von einem Künstler gehört, der während seines Monologs wegen Dehydrierung aus dem Latschen gekippt wäre. Schauspieler spielen stundenlang, ohne dass Hamlet oder König Lear hinter dem Vorhang verschwinden müsste, um schnell ein Glas Mineralwasser auszutrinken. Aber im Fernsehen geht irgendein Komiker auf der Bühne auf und ab und sagt: „Wissen Sie, was mich nervt – sind Sie schon mal auf so einer verfickten Karibik-Kreuzfahrt gewesen? Das sind verfickt noch mal die schlimmsten“ Jetzt braucht er Wasser, schnell, sonst liegen eines Tages seine vertrockneten Überreste auf der Bühne wie ein Skelett in der Wüste. Statt zu warten, bis er seine gedörrten Mandeln benetzt hat, schalte ich lieber zu etwas Spannenderem um, zu Teleshopping zum Beispiel.
Ich musste vor kurzem eine Stand-up-Nummer geben, weil ich zu einem Auftritt bei einer Gala des American Film Institute zu Ehren von Diane Keaton verdonnert wurde. „Du kommst“, sagte sie. „Ich schicke dir meine Glückwünsche auf Band“, flehte ich. „Nein, mein Lieber, du kommst. Und außerdem wirst du mir den Preis überreichen.“ – „Aber, aber …“, stammelte ich. „Nichts aber. Und jetzt geh, und fisch deinen Frack aus den Mottenkugeln.“ Ich bin also hingegangen, habe eine paar Witze gemacht und meine Lacher bekommen, und mir ist klar geworden: Sollte ich noch einmal Stand-up-Comedy machen, werde ich nicht mehr dieselben Fehler wie am Anfang begehen, etwa, mich mit jeder Menge lauwarmer Kalauer zufriedengeben, schnell wieder von der Bühne rennen oder affektiert herumhibbeln. Was war ich für ein Wiesel. Aber da ich keine Stand-up-Comedy mehr mache, worüber reden wir eigentlich?
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* Woody Allen: „Apropos Of Nothing“, Skyhouse New York 2020, deutsch: „Ganz nebenbei“, Rowohlt 2020 







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