Die wiedergefundene Textstelle: Das Blut des Stieres im Schlachthof

betr.: Krieg

Hitchcocks Film „Foreign Correspondent“ aus dem Jahr 1940 (seinem ersten Jahr in Hollywood) ist ein Propagandafilm, was in diesem Falle nichts Unehrenhaftes ist. Dennoch wurde bei seiner Eindeutschung 1961 der zeitgeschichtliche Teil entfernt (jener, der von der Bedrohung der Weltordnung durch die Nazis handelt) und nur der Thriller übriggelassen (zum Beispiel die mysteriöse Szene mit den Windmühlen, von denen sich eine in der falschen Richtung dreht). Falls die alte Fassung überhaupt noch gezeigt wird, ist sie von der neuen schon dadurch auf Anhieb zu unterscheiden, dass sie „Mord“ heißt – nicht „Der Auslandskorrespondent“ – und dass sie statt 105 nur 85 Minuten dauert.
1986 beauftragte das ZDF den Autor der ersten Dialogfassung, Eberhard Storeck, den Film für eine komplettierte TV-Neufassung nochmals zu bearbeiten. Auf diese Weise kam auch das Finale wieder an seinen Platz: der Held berichtet aus London im Rahmen einer Liveübertragung, als deutsche Bomber zum Angriff übergehen. Harris & Lasky machten dieser heroischen Rede in ihrem einschlägigen Fachbuch das größtmögliche Kompliment: „Hitchcocks Aufruf an sein Gastland, seinem Heimatland in dieser Stunde beizustehen, ist fast so brillant wie Chaplins berühmte Schlussansprache in ‚The Great Dictator‘.“ – Nur dass die eher für den Frieden spricht als gegen den Krieg.

Hallo, Amerika! Ich habe gesehen, wie ein Teil der Welt in Stücke geschlagen wird. Ein Teil der Welt, so schön wie Vermont, Ohio, Virginia, Kalifornien und Illinois, ist geschändet und blutet wie ein Stier im Schlachthof. Ich habe Dinge gesehen, die die Gräueltaten der Wilden zu einem Ammenmärchen verblassen lassen. [Der Ansager will die Sendung abbrechen, da die Sirenen heulen, das Licht ausgeht, Bomben fallen. Der Sprecher erklärt aber, dass er weitermachen wird, weil die Amerikaner hören müssen, was er zu sagen hat.] Ich kann den Rest des Textes nicht lesen, weil die Lichter ausgegangen sind. Ich werde jetzt aus dem Stegreif reden. Der Lärm, den ihr jetzt hört, kommt nicht von der schlechten Verbindung; es ist der Tod, der über London kommt. Ja, jetzt kommen sie. Wir hören die Bomben in den Straßen, in den Häusern detonieren. Schalten Sie nicht ab – bleiben Sie am Gerät – dies ist eine wichtige Geschichte, und auch Sie sind ein Teil davon. Es ist jetzt zu spät, etwas zu tun, als im Dunkel zu stehen und auf sie zu warten, als wären die Lichter überall aus, überall außer in Amerika. Lasst die Lichter brennen, schützt sie mit Stahl, mit Gewehren, baut eine Kuppel über sie, eine Kuppel aus Kampfschiffen und Bombern. Hallo, Amerika! Lass deine Lichter brennen! Es sind jetzt die einzigen Lichter der Welt!

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