Die schräge Überfliegerin

betr.: 49. Todestag von Ursula Herking, 10. Todestag von Dieter Hildebrandt (in drei Tagen)

Als die Memoiren von Ursula Herking 1973 erschienen, dachte man bei deren Titel „Danke für die Blumen“ noch nicht an „Tom und Jerry“.
Beim Lesen solcher Biographien könnte man auf die Idee kommen, es müsste früher viel einfacher gewesen sein, Karriere zu machen oder bei Großereignissen mitzumischen. Ganz falsch ist dieser Eindruck sicher nicht: nach dem Krieg waren Gründungen späterer Institutionen an der Tagesordnung.
Im Falle des prominentesten deutschen Kabarett-Ensembles der Bonner Republik – wir sind ungefähr im Jahre 1956 – lief das in der Erinnerung von Frau Herking so ab:

Sammy Drechsel, Tausendsassa und Spürnase, kam eines Tages zu mir und sagte: „Ulla, hast du Lust, ein neues Kabarett mitzubegründen?“ Erst einmal sagte ich: „Nee.“ Ich hatte nämlich bei Trude [Hesterberg] aufgehört, dieses mal nicht im unguten, aber nach drei Programmen wollte ich mal wieder Theater spielen. Dann meinte er aber verschmitzt: „Wenn du mitmachst, dann macht der Dieter Hildebrandt auch mit.“ – Zu Dieter hatte er gesagt: „Die Herking macht mit.“ Das haben wir erst hinterher herausbekommen.
Ich sagte: „Hör zu, Sammy, ich möchte so gerne mal eine Art Chanson oder einen Sketch bringen, in dem eine Mutter einen Brief an ihre Tochter schreibt. Wenn Dieter das macht, mache ich mit.“ Dieter machte es, und dann brauchten wir noch weitere neunzehn Nummern.
Außerdem brauchten wir noch zwei Kabarettisten. Das einzige, was wir, dank Sammys Verhandlungskunst, immerhin hatten, war der Raum. Da wo er heute noch ist, in Schwabing, Haimhauser-, Ecke Ursulastraße. Eine gemütliche Kneipe. Sie gehörte Fred Kassen. Sammy machte zunächst einmal Fred zum musikalischen Leiter, dann kriegte er Klaus Havenstein herum, auch mitzumachen. Klaus Peter Schreiner, Oliver Hassencamp und Max Colpet*, und natürlich Dieter Hildebrandt selber, schrieben die Texte.
Einen Namen für unser neues Kabarett hatten wir auch noch nicht.
Wir beschlossen, mit dem vielen Kostümwechsel, der lästigen Umzieherei, aufzuhören, alle Nummern in einem gefälligen Einheitskostüm zu bringen und die Figur, die wir darzustellen hatten, nur durch kleine Veränderungen anzudeuten. Dazu gehörten Schwerter, Zylinder und ein Frackumhang, Sträuße aus künstlichen Blumen und vielerlei Krimskrams …
Nur einen dritten Mann hatten wir immer noch nicht.
Da fiel Ully „Dietsch“ ein. Hans Jürgen Diedrich war bei den „Amnestierten“ gewesen, trieb sich gerade in Paris herum, wie wir vermuteten ohne Geld. Wir riefen ihn dort an. „Wenn ihr mir die Reise zahlt, komme ich.“
Unser „neuer Stil“, den wir uns ausgedacht hatten, nämlich alles so zu spielen, als ob es uns in diesem Augenblick einfiele, geriet sehr oft ins Schwanken, da ja gerade diese Art des Spielens verlangt, dass man „über dem Text steht“, sich’s also leisten kann, gelegentlich mal ein witziges, aktuelles Aperçu einzufügen – aber wem fallen schon in einem gähnend leeren, in diffuses Tageslicht getauchten Lokal witzige Aperçus ein?
Unsere Bühne war so groß wie ein Handtuch. Das ist sie heute noch. Man kann nur von links oder rechts auf- oder abtreten, und dabei muß man jedesmal durch die Küche rasen. Die „Bühnenausstattung“ bestand darin, daß die Wand hinter der Handtuchbühne hellgrün gestrichen war.
Bei den letzten Proben saß Oliver Hassencamp drin, ja, er lachte sogar, was waren wir dankbar! Nennt es doch „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, meinte er.

Ursula Herking, die dies erzählt, hat in unseren Mediatheken und Wiederholungsschleifen heute vor allem als Schreckschraube in einigen Rudi-Carrell-Sketchen überlebt, etwa als muffige Zweiter-Klasse-Stewardess, eine ihrer letzten Arbeiten.
Klaus Peter Schreiner schreibt in seinem Buch über die „Lach- und Schieß“ wiederum über sie:

Mit Ursula Herling, die schon vor dem Dritten Reich in der Berliner „Katakombe“ als Brett’l-Künstlerin hervorgetreten war und die sich dann in UFA-Filmen als vertrottelte Sekretärin verschlissen zu haben schien, mit einer völlig neuen Ursula Herking als komödiantischem Zentrum feierte die „Schaubude“ Triumphe. Die Herking, Deutschlands klassischste und populärste Kabarettistin – „Bonbonniere“, „Kleine Freiheit“ und was sonst noch alles** -, hatte sich mit dem Film „Kinder, Mütter und ein General“ gerade als Charakterschauspielerin profiliert und war kabarettmüde, das wußte man. Also hatte es wohl gar keinen Sinn, bei ihr anzuklopfen.

Wir wissen ja, wie die Geschichte weiterging.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2017/07/19/aus-berufenem-munde/
** Siehe Platz 3 des kleinen Rankings: https://blog.montyarnold.com/2015/07/29/die-wiedergefundene-textstelle-erich-kaestners-alles-ueber-eva/

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