Pseudo-amerikanische Befindlichkeiten

Der Kurator und Comic-Spezialist Alexander Braun vollbringt mit seinem neuen Buch „Staying West!“ – dem Katalog zu seiner gleichnamigen Ausstellung – einmal mehr das Kunststück, ein Stück Kulturgeschichte für uns nachvollziehbar zu machen und zugleich etwas Hilfreiches zu einer aktuellen Debatte beizusteuern, die sehr hitzig und auf keinem sehr hohen Niveau geführt wird.
„Staying West!“ ist die Fortsetzung von Ausstellung und Buch „Going West!“*, und wieder wird sich mit der Darstellung der Besiedlung Nordamerikas durch die europäischen Einwanderer beschäftigt, wie sie sich im Comic dargestellt hat. Alexander Braun beweist, dass der Comic sich ab 1920, also „verblüffend früh und bemerkenswert authentisch mit der Kultur der Indigenen auseinandersetzten: zu einer Zeit, als in Hollywood noch skalpiert wurde.“
Er entlarvt die eine oder andere Debatte als gegenstandslos, indem er etwa den Unsinn der kürzlichen Ächtung des Begriffs „Indianer“ (das „I-Wort“) in unserem Sprachgebrauch aufdröselt**. In diesem Zusammenhang wirft Braun auch einen Blick auf die gefeierte Arbeit der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs, ihre Versäumnisse und die heutigen Versuche ihres Verlages, mit dem rasanten Wandel des Sagbaren und momentan Nicht-mehr-Sagbaren umzugehen.

Vieles in dieser Fachpublikation ist grundsätzlich bedenkenswert: „Sprache ist ambivalent und verändert sich mit der Zeit. Das gilt es anzuerkennen, egal, welche Position die eine oder andere Partei vertritt. Sammelbegriffe, die Unterschiede im Detail nicht per se negieren, sondern lediglich im Sinne besserer Kommunikationsfähigkeit für den Moment hintanstellen, sind deswegen auch nicht per se rassistisch. (…) Wenig zielführend (…) ist ein apodiktisches Denken, [mit dem] die Arroganz verbunden ist, zu glauben, dass unser heutiges Denken und handeln unangreifbar wäre und für alle Ewigkeit Bestand habe – die Geschichte lehrt uns etwas anderes -, verstellt jede Falsch/Richtig-, Böse/Gut-Rigorosität den Blick auf Dynamiken und Prozesse.“
Derlei Kulturkampfdebatten sind vor allem deshalb so beliebt, „weil so von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Wer sich in den Elfenbeinturm begibt, um dort verzehrende Kulturelle-Aneignungs-Debatten zu führen, hat am Ende des Tages keine Kraft mehr, um für gerechten Lohn, für Zugang zu sauberem Trinkwasser und gegen Klima- und Ernährungsprobleme zu kämpfen.“

NICHT aus dem besprochenen Band: Strip aus „Alwis: Aweile Awwer“ von Schnorres und Schmitt (Selbstverlag 1988).

Die Ausstellung „Staying West!“ findet noch bis zum 03. April 2024 im „Schauraum Comic + Cartoon“ in Dortmund statt.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2016/01/07/going-west-1-invasion-aus-der-alten-welt/
** Dieses Thema streift der Autor auch in diesem Radiobeitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/staying-west-der-wilde-westen-im-comic-ausstellung-in-dortmund-dlf-kultur-3ea5caaa-100.html

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