Von Captain Marvel zu Ms. Marvel – Das woke Nachleben eines Sternenkriegers

Fortsetzung vom 1. Januar 2017*

Seit dem traurigen Ende des „raumgeborenen Superhelden“ wird der Name Captain Marvel im Marvel-Universum wie eine Stafette von einer Figur zur anderen weitergereicht (- dass er nicht ungenutzt bleiben darf, versteht sich).
So verschieden sie ansonsten sind: eins haben all diese Charaktere miteinander gemeinsam: man kann den Zeitgeist an ihnen ablesen, der im Augenblick der Entstehung beim Publikum angenommen wurde.

Als Stan Lee den Titel „Captain Marvel“ 1967 erstmals vergeben durfte (zuvor war er außerhalb des Verlags rechtlich gebunden), wollte er auf den Erfolg der Agentenfilme und -romane reagieren, die der Kalte Krieg hervorgebracht hatte. Gemeinsam mit Gene Colan erschuf er Captain Mar-Vell (so sein bürgerlicher Name) vom Volk der Kree, das auf dem Planeten Hala lebt. Der Spion Mar-Vell / Marvel rebellierte schließlich gegen seine Auftraggeber und schlug sich auf die Seite der Erde und ihrer Bewohner. Bestraft wurde er weniger für diesen Verrat als für die mageren Verkaufszahlen. Buchstäblich in die Weiten des Alls verstoßen, erfuhr er eine Umgestaltung, nach der er 15 Jahre jünger aussah und statt eines grün-weißen ein rot-blaues Outfit erhielt. Doch der (verdiente) Erfolg der Reihe blieb weiterhin aus. Das verschleppte Ende kam 1982 – drei Jahre nach ihrer Einstellung – in der ersten Graphic Novel aus dem Hause Marvel. Der Held starb an Krebs. Autor und Zeichner von „The Death Of Captain Marvel“ war Jim Starlin, dessen Vater kurz zuvor dieser Krankheit erlegen war. So lag auch das Ende der Figur im aktuellen Trend: Superhelden begannen zu altern, zu sterben, verletzlich zu sein, ihre Geschichten erzählten von Trauer und Verlust (was heute fast schon wieder ermüdende Konvention ist).

Der freigewordene Titel „Captain Marvel“ ging an Monica Rambeau, eine ehemalige Hafenpolizistin aus New Orleans. Seit die selbstbewusste schwarze Frau die Waffe eines außerirdischen Schurken zertrümmert hatte, konnte sie ihren Körper in reine Energie verwandeln, was bereits in ihrem ersten Panel Peter Parkers Spinnensinn ausschlagen ließ. Monica schloss sich den Avengers an und stieg sogar zu deren Anführerin auf. Sie legte den Namen Captain Marvel schließlich ab, wurde zu Photon, zu Pulsar und schließlich zu Spectrum.

Die, die ihn nun übernahm, war seit ihrem Verschwinden aus der klassischen „Captain Marvel“-Reihe verschollen: Carol Danvers, die Sicherheitschefin der Raketenbasis am Cape Kennedy, wo der Sentry, ein gewaltiger Android aus dem All, im Sleep-Modus gelegen hatte. Dass Danvers durch die Explosion des Psyche-Magnitrons Gene der Kree und damit Superkräfte erhalten hatte, wurde erst 1977 enthüllt. Als „Ms. Marvel“ gab sie John Romita Sr. und seinem Autor Gerry Conway Gelegenheit, feministische Themen aufzugreifen und die von Männern dominierte Comicbranche auch für Frauen zu öffnen. Carol Danvers bewarb sich bei Peter Parkers paternalischem Chef, dem Verleger J. Jonah Jameson. Dabei legte sie Wert auf die Anrede „Miss“ (aus ihrem Serientitel) – Conway zufolge ein Detail, das sie der feministischen Bewegung zuordnen sollte. Fortan arbeitete sie als Redakteurin für den „Daily Bugle“ und kämpfte nun an zwei Fronten: für bessere Bezahlung und gegen Superschurken. Conway: „Fast ohne Absicht war dieser Comic eine Art Schild unten am Baumhaus, auf dem stand: ‚Auch für Mädchen‘.“°

Ms. Marvel wurde Mitglied der Avengers und von Chris Claremont regelmäßig zu Gastauftritten bei den „Uncanny X-Men“ mitgenommen. Sie erhielt neue Kräfte, einen neuen Look und einen neuen Namen – Binary –, den sie nach dem Verlust der Kräfte in Warbird änderte, um schließlich zu Ms. Marvel zurückzukehren.
Um ihren alten Mentor Mar-Vell zu ehren, nahm sie schließlich 2012 den Namen Captain Marvel an; Kelly Sue DeConnick hat es aufgeschrieben, Dexter Soy hat es gezeichnet.

Und das ist der Anschluss zur Gegenwart. Der Name Ms. Marvel wurde an Kamala Khan weitergereicht, die wiederum ein Fan von Carol Danvers ist und sich vor dieser verneigen möchte.
Kamala Khan alias Ms. Marvel ist ein Teenager aus einem strengen amerikanisch-pakistanischen Elternhaus, doch in ihrem kurzen Leben hat sie schon einiges durchgemacht (unter anderem ihren Tod und eine Wiederbelebung …).

Ms. Marvel ist außerdem – das soll in unserer multimedialen Epoche nicht verschwiegen werden – Heldin einer Animationsserie. Sie gehört nicht zum Inner Circle von „Spidey und seine Super-Freunde“**, wo wir Peter Parker, Miles Morales und Gwen Stacy als gute Kids gegen die verdorbenen Kids Rhino, Doc Ock (diesmal: ein Mädchen) und den grünen Kobold kämpfen sehen. Neben dem Hulk und Black Panther ist sie die regelmäßige Verstärkung der Kerntruppe.
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° in Marvel Masterworks 211, Ms. Marvel, Volume 1. New York: Marvel, S. 8
* Siehe https://blog.montyarnold.com/2017/01/01/captain-marvel-die-deutsche-chronologie/
** Siehe https://blog.montyarnold.com/2022/06/02/wie-viel-spider-man-ist-in-spidey/

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