Ein Versuch über die Mediensatire (1)

Seit der Stummfilmzeit parodiert sich das Kino selbst. Es war vor allem Mack Sennett, der das Konzept populär machte, große Erfolge der dramatischen Leinwand in kurzen Komödien zu veräppeln, sie aber auch zu würdigen. Nimmt sich der Film – was weitaus häufiger geschieht – der ironischen Kommentierung des wirklichen Lebens an, spricht man nicht von einer Parodie, sondern von einer Satire. Die Mediensatire bringt nun beides Zusammen, erzählt also davon, wie sich Gesellschaft und Medien (im weitesten Sinne) gegenseitig beeinflussen, inspirieren, befördern oder beschädigen. Das ganze muss aber einen witzigen bzw. phantastischen Ansatz haben. Medien verhandelnde Klassiker wie „Citizen Kane“ (Pressewesen) oder „Sunset Boulevard“ (Hollywood und seine Industrie) sind keine Satiren, sondern erzählen exemplarische Geschichten; in der Tat beziehen sich beider Hauptfiguren auf reale Vorbilder.

In unseren Tagen wäre die Mediensatire das Genre der Stunde! Noch nie haben die Medien so intensiv und wechselseitig das Leben aller bestimmt und geformt. Die Alten Griechen konnten mehrheitlich nur zuschauen, wenn die großen Dramen und Gleichnisse gespielt wurden, und noch vor wenigen Jahren was es ein exotischer Berufswunsch, „was mit Medien“ zu machen. Mit dem Siegeszug der sozialen Medien ist inzwischen wahr geworden, was uns vor 45 Jahren etwas voreilig von den Herstellern von Videorecordern versprochen wurde: „Werden Sie Ihr eigener Programmdirektor!“ Heute bedeutet „Programm“ ist nicht nur das Video für den Feierabend, geht um das eigene Leben und den alltäglichen Versuch, gut auszusehen uns sich selbst neuzuerfinden.
Dennoch ist die Mediensatire, die diese Vorgänge aufgreifen könnte, so selten wie eh und je. Entsprechend kurz und individuell verschieden ist die Liste der Glanzleistungen auf diesem Gebiet.
Mit „Dream Scenario“ ist gegenwärtig ein Film in den Kinos, der es wieder einmal wagt – und das auf der Höhe der Zeit. Es geht um einen alten Herrn (der 60jährige Nicolas Cage in seiner ersten offen eingestandenen Altersrolle), der zuerst verstärkt in den Träumen seiner Mitmenschen auftaucht und dann in den sozialen Medien.

Die Mediensatire ist keine rein filmische Form, sie kann in jeder erzählenden Kunstgattung stattfinden. Hin und wieder materialisiert sie sich mehrmals, wie etwa Heinrich Bölls Erzählung „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ (1955 / 1958), die als Hörspiel (1986) und als der einzige bis heute regelmäßig präsentierte Kurzspielfilm wiederkehrte (1964 mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt in der Titelrolle). Es gibt davon auch ein Hörbuch mit dem „König der Vorleser“ Gert Westphal. Bölls genialer Text funktioniert in all diesen Varianten! Um ihn schätzen zu können, sollte man aber ein wenig mit dem behandelten Medium vertraut sein: dem frühen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ein Programmumfeld aus Feuilleton („Print“) und Literatur reflektiert. Hier wird bereits einer der Gründe deutlich, warum es die Kunstform der Mediensatire nicht leicht hat: sie hat einen gewissen aktuellen Bezug, sie setzt persönliche Erfahrungen voraus, die keineswegs so universell sind wie Liebe / Sex / Tod.

Zwei „Dr. Murke“ vergleichbar amüsante und hellsichtige Höhepunkte der literarischen Spielart dieses Genres – „Stadt in Hypnose“ und „Telezauberei“ – haben noch einen weiteren Nachteil. Obwohl eine dieser Geschichten schon 1966 die gleichschaltende Qualität des Internets vorausahnte, werden beide dadurch von jeder seriösen Rezeption angeschnitten, dass es sich dabei um Comics handelt.*

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* Näheres unter https://blog.montyarnold.com/2018/02/06/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-20-stadt-in-hypnose/ und https://blog.montyarnold.com/2015/01/26/telezaubereien-mit-rumburak-und-der-hexe-hicksi/

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