Die schönsten Filme, die ich kenne (121): „They’ll Love Me When I’m Dead“

betr.: 109. Geburtstag von Orson Welles

Im November 2018 präsentierte der Streaming-Anbieter Netflix seinem Publikum ein Prestige-Produkt, das kaum einem seiner Abonnenten etwas gesagt haben dürfte: „The Other Side Of The Wind“. Es ist der letzte der so vielen unvollendet gebliebenen Filme des genialen Orson Welles, einer Hollywood-Legende alter Schule.

Die Hauptrolle in diesem para-autobiographischen Werk spielt der große Filmregisseur John Huston – eine weitere Symbolfigur des analogen Anti-Netflix-Entertainments. Seit 1975 hatte der chaotische und stets unter Geldmangel leidende Welles an diesem Projekt gearbeitet. Nachdem ihn ein spanischer Zwischenhändler betrogen hatte, war sein Finanzier ausgerechnet eine Firma gewesen, die einem Schwager des Schahs von Persien gehörte. Der fast fertige Film fiel nach der Machtergreifung des Ajatollah in Staatsbesitz und verschwand in einem Tresor in Paris. Welles starb 1985, nachdem er bis zuletzt versucht hatte, eine Freigabe zu erwirken. Danach kämpfte seine letzte Geliebte Oja Kodar weiter. 

Nun ist es Netflix, dem die Ehre zufällt, diesen Film mit seiner finanziellen Unterstützung endlich gerettet und herausgebracht zu haben. Doch nicht nur das! Netflix gab außerdem eine Dokumentation in Auftrag, die seine wechselvolle Entstehungsgeschichte erzählt, eine Vielzahl schillernder Zeitzeugen zu Wort kommen lässt und überdies viele Meter historischen Materials zusammengetragen hat – all das sollte bei einer Doku selbstverständlich sein, doch die Verhältnisse, sie sind bekanntlich längst nicht mehr so.
Nachdem die Welt fast 30 Jahre hat auf „The Other Side Of The Wind“ warten müssen, wird sie nun mit einem Double-Feature entschädigt, das für jeden sehenswert ist, den die Geschichte und die besonderen Gesetzmäßigkeiten Hollywoods – dieses für alle Zeiten untergegangenen Hollywood, in dem der stets unabhängige Orson Welles ein avantgardistischer Fremdkörper gewesen ist – interessieren. Überdies erweist sich Welles hier wie dort – in „The Other Side Of The Wind“ wie auch in Morgan Nevilles „They’ll Love Me When I’m Dead“ – als Vorläufer der heute so beliebten Form der Mockumentary. Wer die (für diesen Regisseur typische) Art bestaunt hat, über Jahre hinweg unchronologisch einzelne Szenen zu produzieren – immer, wenn gerade genug Geld und die benötigten Darsteller verfügbar sind – und diese später zusammenzufügen, der wird am Hauptfilm umso größeres Vergnügen haben. Und auch an „Othello“ (der 1952 auf die nämliche Art zustandekam und es tatsächlich auf die Leinwand geschafft hat). Und auch wen das alles nicht interessiert – wer einfach, sagen wir, Quentin Tarantino mag und sich noch nie gefragt hat, wie unsere Vorfahren wohl Filme gedreht und angeschaut haben – auch der wird sich vermutlich köstlich amüsieren!

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