Siechtum einer Kunstfigur

betr.: Schreiben für Film und Fernsehen

Die wichtigsten historischen Krimiserien der Bonner Republik – „Der Kommissar“ und „Derrick“ – wurden beide von Herbert Reinecker geschrieben. Von 1974 bis 1976 liefen beide sogar parallel, und der Autor hatte noch mehr abzuliefern. Erstaunlicherweise brach die Qualität von „Derrick“ in dem Moment ein, als „Der Kommissar“ eingestellt wurde und sich das Pensum wieder normalisierte.
Die allermeisten der 281 Folgen „Derrick“ sind von dieser Anämie gezeichnet. Diese wurde noch dadurch verstärkt, dass die Nebenrollen der Kollegen im Polizeipräsidium nicht neu besetzt wurden, sobald ihre Darsteller starben. Zuletzt war neben Derrick und Harry nur noch der mimikfreie und weitgehend textlose Kleindarsteller des „Willi Berger“ an ihrer Seite. Die Crew indessen blieb und wurde irgendwann so alt, dass sich sogar Hauptdarsteller Horst Tappert im Gespräch mit der Programmpresse darüber beklagte.

In seinem rbb-Radiofeature „Die heile Welt des Verbrechens – Stephan Derrick und die BRD“ beschrieb Rafael Jové diese Entwicklung sehr treffend so: „Wer beim Derrick-Schauen von einer späten 90er-Jahre-Episode direkt in die Anfangszeit, irgendwo in den 70ern springt, erlebt eine erstaunliche Verwandlung. Die Kamera ist plötzlich in Bewegung, sie geht nach draußen und zeigt, dass wir wirklich in München sind. Die Figuren wirken, als seien sie endlich zum Leben erwacht, und sprechen Sätze, die nach Mensch und nicht nach Drehbuch klingen. Stephan Derrick hat sich hier noch ein wenig Leichtigkeit, ein paar sympathische Schwächen bewahren können. Er darf fluchen, rauchen und gnadenlos übernächtigt sein. Man kann die komplette Mordkommission angeheitert beim feierabendlichen Kegeln beobachten, und Harry riskiert bei Ermittlungen in der Discothek ein Tänzchen mit der attraktiven Verdächtigen. Über die Laufzeit der Derrick-Reihe hinweg kann man dann dabei zuschauen, wie das Leben aus den Geschichten weicht, die Dialoge erstarren und die Schwermut sich wie Mehltau über Charaktere und Szenerien legt, während Herbert Reinecker in der Ruhe und Abgeschiedenheit seines Hauses an der Schlechtigkeit der Welt verzweifelte. Immer düsterer sah er die Zukunft des Menschen, und dieser Pessimismus, gepaart mit einem missionarischen Weltverbesserungseifer, schlugen sich deutlich in den Derrick-Büchern nieder.“
Es war sicherlich die Beschwerlichkeit des schieren Alters auch des Autors, die hier in das Produkt durchsickerte.

Dieser Beitrag wurde unter Fernsehen, Krimi, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert