Improvisation: Gottesgeschenk und Universal-Verarsche

Vorrede zum Beitrag vom 15.6.2015

Auf der Improvisation beruhen mindestens zwei anerkannte Kunstgattungen: der Jazz und das Improtheater. Während der Jazz die Improvisation als ein Werkzeug nutzt, das neben anderen (etwa dem Beherrschen eines Musikinstrumentes) auf einer soliden, unverzichtbaren Grundlage steht (einer existierenden Komposition), macht sie das Improvisationstheater buchstäblich zur titelgebenden Tugend und damit zur Hauptsache. Das kann verblüffend und bezaubernd geraten, bedeutet aber auch eine gewaltige Versuchung, sich durchzumogeln. Und das auf eine Weise, die der Jazzmusiker Christoph Mudrich mir gegenüber einmal als „zutiefst unjazzig“* bezeichnet hat.  

Improvisation ist – wie so vieles im Leben – eine Sache des richtigen Augenblicks.
Im Leben wie in der Kunst kann sie die Rettung aus größter Not bedeuten oder das entscheidende Detail beisteuern, das aus einer guten Sache einen Geniestreich macht. Sie ist geeignet, Dankbarkeit und Bewunderung auszulösen.
Leider – und das ist die beträchtliche Schattenseite – ist sie auch die wohlfeilste aller Ausreden für jene, die Dankbarkeit und Bewunderung umsonst haben wollen, die als Retter oder Genie dastehen möchten, für das ehrliche Erringen eines solchen Status allerdings entweder zu faul oder zu dumm sind. Sie sind sogar zu faul und zu dumm, sich eine originelle Ausrede für ihre Versäumnisse einfallen zu lassen. Stattdessen sagen sie: ich improvisiere!
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* Sprich: „unjatzich“.

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