betr.: Sprechen am Mikrofon
Der Schriftsteller Truman Capote pflegte zu sagen: „Alle Literatur ist Klatsch!“ (Er muss es ja gewusst haben.) Wenn wir zugeben, dass uns Dinge wie die Probleme der biblischen Prostituierten Maria Magdalena oder das Paarungsverhalten des Prozessionsspinners eigentlich nichts angehen, kommt uns die Idee, auch das Neue Testament oder die etymologischen Schriften von Henri Fabre müssten Klatsch sein, gar nicht mehr so schräg vor.
Das Leben von Romanfiguren geht uns ja erst recht nichts an. Ist innerhalb dieser literarischen Gerüchteküche wiederum explizit von Klatsch die Rede, ist das für die Interpretation am Mikrofon (oder vor Publikum) eine besondere Herausforderung: a) weil so viele alltägliche / vertraute Melodien im raschen Wechsel stattfinden, die wir b) richtig zuordnen und anstimmen müssen. Und weil das Publikum c) hier ganz besonders empfindlich für falsche Töne ist und sofort aussteigt, wenn wir Fehler machen.
In einer Kurzgeschichte von Anthony Berkeley findet sich ein Tratschtanten-Monolog, der uns (redigiert und leicht gekürzt) als Übungsbeispiel dienen soll. Der angesprochene Mr. Sheringham ist ein Kriminalbeamter, der den Punkt erreicht hat, an dem ihm nur noch „Der rächende Zufall“ („The Avenging Chance“, so der Titel der Geschichte) helfen könnte.
Oh, Mr. Shendringham! Sie sind genau der Mann, den ich sehen wollte. Werden Sie den Tod der armen Joan Beresford in die Hand nehmen? Ich war entsetzt, als ich davon hörte, einfach entsetzt. Wissen Sie, Joan und ich waren nämlich so eng miteinander befreundet. Wirklich, wir waren sehr intime Freundinnen. Und das Schreckliche daran ist, das wirklich Schreckliche, dass Joan sich die ganze Geschichte selbst zuzuschreiben hat. Ich das nicht entsetzlich? Ich glaube, man nennt es „Ironie des Schicksals“.
Bestimmt war es tragisch genug, aber ich habe noch nie etwas so schrecklich Ironisches erlebt. Sie wissen natürlich von jener Wette, die sie mit ihrem Mann gemacht hat, so dass er ihr als Siegestrophäe eine Schachtel Konfekt beschaffen musste. Wenn sie nämlich nicht gewettet hätte, hätte er sich das vergiftete Konfekt von Sir William gar nicht geben lassen. Sir William hätte es vielleicht selbst gegessen und wäre gestorben und – gute Reise! Nun, Mr. Shendringham — Ich habe dies noch niemandem erzählt, aber ich will es Ihnen verraten, weil ich weiß, dass Sie es zu schätzen wissen: Joan hat gemogelt! Als sie mit ihrem Mann darum wettete, ob sie den Mörder in dem Kriminalstück erraten könnte, hat sie nicht fair gespielt. Weil sie das Stück nämlich schon kannte. Wir sind zusammen hingegangen, gleich in der ersten Woche, in der es lief. Sie wusste also ganz genau, wer der Schurke war! Das nennt man dann wohl „ausgleichende Gerechtigkeit“! Aber ausgerechnet Mrs. Beresford! Das ist ja das Ungewöhnliche. Ich hätte nie gedacht, dass Joan so etwas tun würde. Sie war so ein nettes Mädchen. Ein wenig knickerig mit Geld, wenn man bedenkt, wie gut sie gestellt waren, aber das hat natürlich nichts zu bedeuten. Bestimmt war es nur Spaß, und sie wollte ihrem Mann einen Streich spielen. Aber ich habe immer geglaubt, dass Joan so ein ernsthaftes Mädchen wäre, Mr. Shendringham. Ich meine, gewöhnliche Leute reden nicht über Ehre und Wahrheit und die Spielregeln einhalten und all diese Dinge, die man für selbstverständlich hält. Aber Joan tat das. Sie sagte immer, dies sei nicht ehrlich oder jenes sei nicht anständig. Nun hat sie dafür bezahlen müssen, dass sie selbst nicht anständig war, das arme Mädchen, nicht wahr? Doch das bestätigt nur wieder das alte Sprichwort, dass stille Wasser tief sind! Joan muss so ein tiefes Wasser gewesen sein, fürchte ich. Sie hat mich getäuscht. Sie kann einfach nicht so ehrlich und wahrheitsliebend gewesen sein, wie sie immer getan hat. Ich kann mir nicht helfen, ich weiß nicht, ob ein Mädchen, das seinen Mann in einer solchen Kleinigkeit betrügt, nicht auch … oh, ich möchte nichts Schlechtes über die Ärmste sagen, jetzt wo sie tot ist. Aber nach alledem kann sie einfach nicht so eine Gipsheilige gewesen sein, nicht wahr?
Dieser Auszug ist nebenbei ein Beleg für die These, dass Kursivschriften wenig hilfreich beim Setzen von Betonungen sind.