Wohnwelten (5): Miss Marple

Wer sich das Heim der Miss Marple ins Gedächtnis ruft, sieht vermutlich die Filmszenen vor sich, in denen Margaret Rutherford vor ihrem Bücherregal steht, das säuberlich mit Kriminalroman vollgestopft ist. Dieses Regal und das Häuslein drumherum stehen in Milchester, unweit von London.
In den Romanen von Agatha Christie ist Miss Marple eine zierlichere Person, wohnt in einem noch kleineren Örtchen namens St. Mary Mead und ist überhaupt etwas anders als die Figur im Film. Darüber gibt es viele Artikel und einige Beschwerden der Autorin.
Wie wohnt nun aber die literarische Miss Marple?
Das muss man sich aus vielen Textstellen zusammensuchen. In Miss Marples erstem Fall „Mord im Pfarrhaus“ steht zu ihrer Einrichtung allen Ernstes nichts weiter als dies:

Wir wurden von einem winzigen Dienstmädchen eingelassen und in einen kleinen Salon geführt.
„Ein bisschen überfüllt.“ Colonel Melchett schaute sich um. „Aber viele gute Sachen. Ein Damenzimmer, was, Clement?“

Anne Hart hat sich die Mühe gemacht, aus all den Romanen und Kurzgeschichten um die ältliche Hobbydetektivin das Nötige für ihr Quellenwerk „The Life And Times Of Miss Jane Marple“ zusammenzusuchen. Daraus eine innenarchitektonische Zusammenfassung:

Wenn wir zu Besuch gekommen wären, hätte uns ein Dienstmädchen geöffnet, uns durch den Flur geführt, vorbei an einem Tisch, auf den Briefe und Visitenkarten gelegt werden, sowie vorbei an ein paar Garderobenhaken und einem Ständer für Miss Marples Spazierstöcke, hinein in Miss Marples hübsches, altmodisches Wohnzimmer. Ein Zimmer, das „sehr alt war, mit breiten, schwarzen Balken an der Decke, möbliert mit schönen alten Möbeln, die hineinpassten“. Drei Sessel im Wohnzimmer mochte Miss Marple besonders gern: den am Fenster, den großen Ohrenstuhl beim Kamin und „einen extra gekauften geraden Lehnsessel, der den Bedürfnissen ihres rheumatischen Rückens entgegenkam“.
Ein Bücherregal stand da, das Nachschlagewerke enthielt, auch ein medizinisches Buch, das Miss Marple schon nützlich gewesen ist.
Es gab zwei Lampen, einen Eckschrank, der alte Waterford-Gläser enthielt, und einen weiteren Schrank mit Flaschen. Auf dem Kaminsims standen Leuchter, und auf dem Boden lag wahrscheinlich ein guter Teppich, denn Miss Marple hatte einen gewissen Blick dafür.
Nachdem wir im Wohnzimmer Platz genommen hätten, würde man uns fast mit Sicherheit etwas zu trinken angeboten haben, erstaunlicherweise selten Tee. Der Schrank mit den Flaschen enthielt eine stattliche Kollektion: eine Karaffe mit Sherry, Kirschlikör nach „einem alten Rezept meiner Großmutter“, Schlüsselblumenwein, Pflaumengin, Whisky und einen Siphon mit Sodawasser für die Herren. In Sachen Essen und Trinken trennte Miss Marple streng nach Geschlecht.
Vielleicht hätte man uns gar nicht ins Wohnzimmer, sondern ins Esszimmer geführt, weil „ich finde, im Vorfrühling zwei Feuer zu unterhalten, ist eine solche Verschwendung“.
In Miss Marples Haus war weit vor Mitternacht Schlafenszeit. Als Gast wären Sie die Treppe hinaufgeführt worden – „eine altmodische Treppe mit einer scharfen Kehre in der Mitte“ – zu einem Schlafzimmer mit einem Frisiertisch, der diskret mit Chintz umhüllt war, damit man die Beine nicht sah, und einem Bett, das mit Miss Marples besten, monogrammverzierten Laken bezogen war.
Vielleicht hätten Sie auch eine Runde durch den Garten gedreht, den berühmten Garten, „so vortrefflich gelegen, dass man alles sehen konnte, was in St. Mary Mead geschah“.

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