Es ist ehrenhaft, künstlerischen Prinzipien auf die Spur zu kommen. Leider wollen die, denen das gelingt, es dann immer auch aufschreiben. Und die Nachwelt erliegt leicht der Versuchung, diese Analyse als bequemen Leitfaden für die weitere Arbeit zu missbrauchen – die Herstellung von Romanen, Filmen, Comics, Musicals und Videospielen. Was folgt, gerät schnell zu einem repetitiven Mainstream, demgegenüber originelle Künstler mit ihrem Schaffen keinen Fuß mehr auf die Erde kriegen.
Insofern hat Syd Field mit seinem berühmten Leitfaden „Das Handbuch zum Drehbuch“ letztlich kein gutes Werk getan – und das nicht nur beim „Tatort“, dessen Autoren seit Jahren strikt dem dort niedergelegten Prinzip zu folgen und die bekannten vorhersehbaren Ergebnisse abzuliefern haben.
Was Redakteure oder Produzenten so praktisch finden, weil es ihnen Mühe erspart und den Erfolg berechenbar scheinen lässt, kann Schauspielern und Regisseuren nicht unbedingt gefallen. Als Ralph Fiennes nach Deutschland kam, um für seine erste Regiearbeit „Coriolanus“ zu werben, wurde er auf ein Derivat des besagten Handbuchs angesprochen, Ted Snyders „Rette die Katze“, und reagierte sehr unwirsch.
Susan Sontags Essay über die Klischees beim Science-Fiction-Film hingegen blieb ein Lesevergnügen, das vor allem vom Publikum aufgenommen wurde.
Als geradezu verheerend sollte sich eine ältere Analyse erweisen, die inzwischen zum Klassiker der Gattung „Große Epen zum Selbermachen“ aufgestiegen ist.
Der Mythenforscher Joseph Campbell legte 1949 in „Der Heros in tausend Gestalten“ die uralte Erzählstruktur offen, der schon Buddha, Herakles, Wotan und der Froschkönig gefolgt sind und die wir seither und vor allem heute unter dem Haudraufbegriff „Heldenreise“ im Munde führen. Es ist das Klischee vom Helden im Larvenstadium, der auf eine abenteuerliche Reise verschlagen wird, die auch ein Weg zu sich selbst ist und von der er gereift zurückkehrt, nachdem er in der Fremde einen gewaltigen Gegner besiegt hat.
George Lucas, der ein technischer Visionär, aber zu keiner Zeit am Erschaffen einer Erzählung interessiert war, hat dieses Prinzip bei „Star Wars“ intuitiv und ohne Kenntnis eines Leitfadens befolgt – auch wenn er das später anders darstellte.
Dass dieses Konstrukt so primitiv und beschränkend ist, erklärt noch nicht, dass sich alle so gern daran halten. Andererseits ist es auch sehr bequem, wenn man als Autor keine Phantasie hat. Und das Publikum hat gegen Kitsch leider nichts einzuwenden, solange es ihn nicht als solchen erkennt.
Die 12 Campbell’schen Stufen der Heldenreise
1. Station: Die gewohnte Welt
Die Geschichte beginnt normalerweise in der vertrauten Umgebung des Helden, die entweder feindselig-bedrückend oder schlicht langweilig ist. (So wie die Wüstenfarm auf dem Planeten Tatooine bei „Star Wars“). Der Held ist so unscheinbar wie unzufrieden und ahnt nichts von seiner Vorbestimmung (genau wie Balthasar Bux in Michael Endes „unendlicher Geschichte“).
2. Station: Der Ruf des Abenteuers
Der „Herold“, eine der archetypischen Figuren der Heldenreise, tritt auf: ein Bote des Abenteuers (bei Harry Potter ist es der Halbriese Hagrid, der bei der Pflegefamilie hereinplatzt und dem Waisenjungen etwas Überraschendes mitzuteilen hat). Er gibt dem Helden einen Anlass, seine Lebensführung in Frage zu stellen.
3. Station: Die Weigerung
Um es ein wenig spannend zu machen, weist der Held zunächst den Ruf des Herolds zurück. Doch ihn befällt eine Zug-Unruhe.
4. Station: Begegnung mit dem Mentor
Ein bärtiger, alter, weiser (weißer) Mann tritt auf und bekräftigt die Botschaft des Herolds mit väterlichen Gesten der Mahnung und Aufmunterung. Er ist ein Haudegen im Ruhestand, der dem zukünftigen Helden mit seinem Rat zur Seite stehen wird (wie Mr. Miyagi in „Karate Kid“).
5. Station: Das Überschreiten der ersten Schwelle
Noch ist der Held nicht überzeugt, sich aufzumachen. Doch ein tragisches Ereignis – Massaker, Tötung der Familie, Verwüstung des Dorfes … – gibt ihm den entscheidenden Antrieb. Der Verursacher dieser Katastrophe kann bereits der Bösewicht sein, zu den nun zu Felde gezogen wird, um Rache zu üben und weitere Untaten zu verhindern.
6. Station: Bewährungsproben, Verbündete und Feinde
Zu Beginn des Zweiten Akts beginnt die eigentliche Reise / Queste / Aventure. Der Held wird von der rauen Welt da draußen eingeschüchtert. Die unverzichtbaren Archetypen treten auf: die komischen Nebenrollen, die vom wenig amüsanten Naturell des notorisch grundanständigen Helden ablenken, indem sie unentwegt irgendwelche lustigen Sachen raushauen. (Nur „Schnuffi der Staubsauger“ schafft es ohne quasselnde Sidekicks. Es sei denn, wir rechnen seinen Freund, den kleinen Schraubenschlüssel, in diese Kategorie. Aber ist ja immer dabei und meistens still und gut verstaut.) Häufig wird auch ein Hilfs-Bösewicht eingeführt, mit dem wir uns herumschlagen können, ohne den geheimnisvollen Endboss zu frühzeitig preiszugeben.
7. Station: Das Vordringen zur tiefsten Höhle
Der Held hat sich zum ersten Mal bewährt. Jetzt soll es in die Höhle des Löwen und dem Bösen an den Kragen gehen. (Zum Beispiel zum Todesstern. Hin und wieder wird auch der irrwitzige Gebäudekomplex des stinkend reichen, aber genialen Bond-Bösewichts genannt. Doch das trifft es nicht. James Bond ist auf keiner Helden-, sondern auf einer Dienstreise. Er wird sich nicht entwickeln und weder eine Läuterung noch die Initiation erfahren, auf die der werdende junge Held hinarbeitet.) Nur mit Hilfe seiner Verbündeten kann der Held die unzähligen Gefahren in dieser „tiefsten Höhle“ überwinden: Feinde. Fallen. Rätsel. Action. Explosionen. Feuergefechte.
8. Station: Die entscheidende Prüfung
Es wird richtig bedrohlich und lebensgefährlich, geht aber notwendigerweise gut aus. Eventuell kommt ein Teammitglied der Guten zu Schaden und erinnert uns an den Ernst der Lage.
9. Station: Die Belohnung oder: Das Ergreifen des Schwerts
Der Held erringt einen symbolträchtigen / zauberwirksamen Gegenstand bzw. nach sagenhaftem Vorbild die Waffe, die er auf dem Titelblatt schon in der Hand hält: ein mächtiges Schwert. Noch kommt es nicht zum entscheidenden Kampf, doch das nötige Wissen um die Schwachstelle des Gegners – oder um die eigene Bestimmung – wird erworben.
10. Station: Der Rückzug
Der Held kann nach einer ersten Niederlage aus dem Reich seines Feindes entkommen. Er hat dazugelernt, ist an seinen Aufgaben gewachsen. Sein altes Ich ist gestorben. Nichts wird mehr sein wie zuvor. Er ist gerüstet für den Showdown.
11. Station: Die Auferstehung
Der Held greift wieder an. Der zuvor als ungemein mächtig geschilderte Bösewicht (zum Beispiel Skeletor in der angenehm ironischen Saga um die „Masters Of The Universe“) macht gegen seinen nunmehr zum Messias herangeschwollenen Herausforderer keinen Stich mehr und geht kläglich unter.
12. Station: Die Rückkehr mit dem Elixier
Die triumphale Rückkehr in die Heimat wird begleitet von Jubel und Partystimmung.
Das Muster der Heldenreise wird nirgends so streng und offensichtlich eingehalten wie in Animationsfilmen. Hier wird die anfängliche Loslösung aus dem zuvor geführten Leben als Verlust definiert, den es wieder herzustellen gilt: die Rückkehr nach Hause, die Wiedervereinigung mit der Familie.