betr.: die Premiere von „Walter Bockmayer. Der andere Millowitsch“ in Köln
Eine würdigende Theatercollage über Walter Bockmayer ist a priori eine erfreuliche Sache. Schon deshalb, weil es ausnahmsweise nicht um Berlin geht. Und weil ein Erinnern an diese volkstümliche Kölner Subkultur-Ikone tatsächlich bedeutet, jemanden dem Vergessen zu entreißen. Häufig sind solche „Würdigungen“ ja nur ein Abmelken der ohnehin vitalen Fanmassen (Beispiel, die Graphic Novel, die gerade zum 100. von Hildegard Knef herauskam…). Außerdem lohnt es sich hier ganz besonders, denn Bockmayer war und blieb bis zuletzt ein Original, das diese Bezeichnung verdient. Das betrifft sogar seine Art zu sprechen, eine unwiederholbare Mischung aus seinem Heimatdialekt (Pirmasenser Pfälzisch) und Kölsch, seiner tiefen, aber femininen Stimme und seinem ganz eigenen beiläufigen Sprachwitz. Genau dieser Unwiederholbarkeit wird durch die abendfüllende Parodie Daniel Breitfelders Rechnung getragen, die eine erstaunliche Balance zwischen der gebotenen Knalligkeit und einer dezenten Anlehnung an den Sound der „Wally“ bewahrt (etwa deren Unfähigkeit bzw. Unwillen, die Konsonanten L, N und D sauber auseinanderzuhalten).
Dieser Abend ist – wie gesagt – bereits unbesehen eine gute Tat! Doch was taugt er nun als Ereignis, was nützt er uns? Da ich das Glück hatte, Walter Bockmayer frühzeitig persönlich kennenzulernen (im Rahmen einer Würdigung seines Filmschaffens beim Saarbrücker „Max Ophüls Festival“ irgendwann in den 80ern) und in seiner legendären „Filmdose“ unzählige Male meine Soloprogramme gespielt zu haben, bin ich zwangsläufig ein ungnädiger Betrachter. Ein programmierter Mecker-Onkel, der auf Verzauberung ein Anrecht zu haben glaubt. Das Wunder ist geschehen: ich bin begeistert!
Das queere Theaterkollektiv „Produktionsbüro Petra P.“ besteht neben Breitfelder aus Sebastian Kreyer, der u.a. den Bockmayer-Lebensmenschen Rolf Bührmann vertritt, und Johannes Brüssau als variantenreichem Traumknaben. Sie bekennen sich offen dazu, Bockmayers Welt nicht miterlebt zu haben, und nähern sich ihm als Nachgeborene, die umfangreich recherchiert haben müssen. Zum Glück hat der geehrte schwule Underground-Künstler nicht nur die irren Super-8-Filme hinterlassen, die seinen Ruhm begründeten, sondern auch frühzeitig prominente Kooperationspartner wie das ZDF für sich eingenommen, die sein schräges Wirken z.B. mit dem Film „Jane bleibt Jane“ mit der Werbe-Ikone Johanna König („Klementine“) in Sicherheit brachten. Außerdem ist Wally (und uns!) mit ,„Flammende Herzen“ das Glück einer wirklich gut geschriebenen Autobiographie vergönnt. Aus diesem Material können die Kollegen schöpfen – außerdem aus YouTube -, doch sie bleiben wachsam, assoziativ und fleißig. Es gelingt ihnen, in ihrer Folge aus Monologen, Sketchen und Video-Zuspielen tatsächlich, ihren völlig aus der Zeit gefallenen Gegenstand ins Heute zu holen, in die spießigste deutsche Epoche seit dem Biedermeier. Einige Seitenhiebe haben sie auch für den abgelegenen Schauplatz ihrer Uraufführung übrig, das auf der „Schäl Sick“ gelegene „Theater der Keller“, eher ein Ort für die Treffen verschwiegener Geheimbünde als ein Premierentheater für einen Beitrag zur Kölner Stadtfolklore. Der ist Saal ist nicht komplett gefüllt, der Altersquerschnitt aber erfreulich breit.
Der Abend wird ohne Pause gespielt und ist derart unterhaltsam, dass der Schlussgag (wie gewünscht) nach hinten losgeht. In einer trashigen Sterbeszene sitzt Wally dem Wahn auf, das Finale sei lediglich das Ende des ersten Teils. „Einen zweiten Teil überlebe ich nicht!“ ruft sie gequält – und es ist aus mit ihr.
Für die ganz wenigen kritischen Anmerkungen soll auch noch Zeit sein. Neben kleinen Nachlässigkeiten (die Biolek-Parodie läuft eher auf Reich-Ranicki heraus) fällt vor allem der hilflose (Unter-)Titel auf. Mit Millowitsch hat Bockmayer als Kunstschaffender gar nichts gemein (mit Fassbinder*, den er so hündisch abfeierte, übrigens auch nicht). Das ist den Machern sogar bewusst, und sie genieren sich im Laufe der Show ein wenig des aussichtslosen Versuchs, mit dieser Überschrift irgendwen interessieren oder anzulocken zu wollen. Walter Bockmayers Wagemut als schwuler Aktivist zu würdigen, ist angemessen, aber der Versuch, diesen mit den heutigen miesen Zeiten in Relation ist zu setzen, ist überflüssig (das tut im Publikum schon jeder selbst), widerspricht Bockmayers humoristischem Naturell diagonal und geht überdies handwerklich in die Hose. Sebastian Kreyer erspart uns nicht einmal die Zumutung, ausgerechnet an dieser Stelle verschämt vor sich hinzugendern. Das ist klemmpimmelig, wie wir früher gesagt hätten, und von einer vorauseilenden Gefallsucht, die Walter Bockmayer zuwider war. (Schon den botanisierenden Sammelbegriff „queer“ hätte er gehasst.) Sicher wäre ihm etwas sehr Boshaftes zu dieser Szene eingefallen. Und wir hätten uns darüber kaputtgelacht.
„Walter Bockmayer. Der andere Millowitsch“ läuft heute, am Silvesterabend und dann wieder am 28. und 29. Januar um 20 Uhr im „Theater der Keller“ in der TanzFaktur, Siegburger Str. 233w, 50679 Köln-Deutz
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* siehe https://blog.montyarnold.com/2017/07/17/die-schoensten-filme-die-ich-kenne-33-im-himmel-ist-die-hoelle-los/
** Pressetext:
Walter “Wally” Bockmayer
Er war der Millowitsch der Subkultur, der Kölsche Fassbinder: Walter Bockmayer. 1975 eröffnete er im Kwartier Lateng die „Filmdose“ – schnell erlangte das Lokal, vor allem durch die seit 1984 stattfindenden Theateraufführungen, die Bockmayer dort inszenierte, Berühmtheit – und mit ihm damals noch unbekannte Schauspieler*innen: Hella von Sinnen, Dirk Bach, Ralph Morgenstern u.v.m. Bockmayer und seine „Familie“ waren die Avantgarde der Kölner Queerness und festigten den Ruf Kölns als schwuler Hauptstadt. Das Produktionsbüro Petra P. erinnert an einen Künstler und Menschen, dem es selbst viel verdankt. Der in seinen Filmen und Inszenierungen Trash mit Hochkultur verband – ein Getriebener, ein Macher, ein mutiger Egomane, dem es egal war, was andere über ihn dachten.
WALTER BOCKMAYER. DER ANDERE MILLOWITSCH: ein Stück Zeit-, Stadt- und Theatergeschichte.
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