betr.: 178. Geburtstag von Bram Stoker
In seinem aktuellen „Spiegel“-Artikel „Monster wie wir“* schreibt Andreas Bernard viel Allgemeingültiges zur popkulturellen Bedeutung Bram Stokers, dessen großem Romanhelden sowie dem Parallelphänomen Mary Shelley / „Frankenstein oder Der Moderne Prometheus“: ein aufbewahrenswertes Doppelportrait:
Dracula und Frankensteins Monster tauchten in der Geschichte des Kinos immer wieder als Doppelpack auf. 1931 produzierte Hollywood innerhalb weniger Monate die beiden für die populäre Kultur des 20. Jahrhunderts maßgeblichen Verfilmungen der Romane mit Bela Lugosi als Vampir und Boris Karloff als Laborgeschöpf. 1992 und 1994 erschienen kurz nacheinander die Adaptionen von Francis Ford Coppola und Kenneth Branagh, die ihre Werktreue nach Jahrzehnten der immer freieren Varianten übereinstimmend im Titel trugen: „Bram Stoker’s Dracula“ und „Mary Shelley’s Frankenstein“.
Davor und danach gibt es diverse weitere Beispiele, etwa die vielen parodistischen und paraphrasierenden Kinoklamotten, in denen beide zusammen auftreten.
Warum sind Shelleys und Stokers Geschichten, deren ursprüngliche Publikation weit auseinanderliegt (1818 und 1897), zu einem ikonischen Zwillingspaar des Grauens geworden? Der Vampir und die künstliche Kreatur: Über diese beiden Figuren, die auf der unheimlichen Schwelle zwischen Tod und Leben stehen, scheint jede Epoche ihre dringlichsten Fragen nach der Verfassung und den Grenzen des Menschlichen zu stellen, (…) verhandelt eine Kultur ihre Wünsche und Ängste. Gleichzeitig eignen sich die beiden Geschöpfe offenbar besonders gut dafür, die neuesten medialen Verdopplungen der Welt zu erproben.
Bram Stokers Roman von 1897 ist bereits selbst ein von modernen Kommunikationsgeräten durchzogenes Buch. Apparate wie Telegraphen, Schreibmaschinen und Phonographen spielen bei der Jagd nach dem Vampir eine zentrale Rolle, was den Medientheoretiker Friedrich Kittler in den Achtzigerjahren zu der Hypothese führte, in „Dracula“ gehe es nur am Rande um Sex und Tod – und in erster Linie um Fragen der Datenverarbeitung. Für das junge Kino waren die „Dracula“- und „Frankenstein“-Verfilmungen ein wichtiges Experimentierfeld. Die beiden Adaptionen von 1931 gelten als Meilensteine der Make-up- und Special-Effects-Künste in Hollywood und hatten zudem einen bedeutenden Anteil an der Etablierung des Tonfilms.
Beide Stoffe bieten sich immer wieder an, um unsere zeitgeschichtlichen Schubladen zu beschriften.
Vor allem das Wort „Frankenstein“ (von dem wahrscheinlich jeder einmal gedacht hat, dass es der Name des Monsters sei und nicht der des Schöpfers) kam bis vor kurzer Zeit etwa dann zum Einsatz, wenn es um Debatten über die bedrohlichen Grenzen des Humanen ging.
Was beide Charaktere heute kulturell so unwiderstehlich macht, ist neben ihrer Popularität und Gemeinfreiheit, dass wir in einer Zeit leben, in der jedes Produkt des kommerziellen Mainstreams darauf versessen ist, sittliche und emotionale Tiefe zu behaupten. „Trauma Plots“ gehören zur selbstverordneten Grundausstattung des Blockbuster-Kinos. Immer ausgiebiger wird das bewegte Innenleben der Figuren in Analysen und Vorgeschichten ausgebreitet. Beim Monster, dem Inbegriff der gepeinigten Kreatur, die erst aus einer Gegenwehr heraus Böses tut, gab es diese Zwischentöne schon 1931 und sehr eindrucksvoll im Zweiteiler „Frankenstein wie er wirklich war“ von 1973*, bei Dracula kamen sie um die selbe Zeit in der Adaption durch die Marvel-Comics zum Vorschein – dezente Vorahnungen der aufdringlichen Psycho-Analysen heutiger Drehbücher. Fazit:
Auch der Vampir und das Monster (…) sind empfindsam und menschlich, müssen sich mit ihren inneren Konflikten auseinandersetzen. Der Sog des Therapeutischen, der die Kultur des 21. Jahrhunderts bestimmt, hat auch ihre letzten Widersacher erfasst.
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* Nr. 47/2025