Shades Of Grey

betr.: 79. Geburtstag des Romans „Vom Winde verweht“

Bevor Guido Knopp, langjähriger Chefredakteur für Volksaufklärung und Propaganda, seinen Ruhestand antrat, legte er noch eine zweiteilige TV-Dokumentation über den Ersten Weltkrieg vor. Das passte gut zur 100jährigen Wiederkehr des Ausbruchs dieser Urkatastrophe und wurde von ihm gewiß auch deshalb gern ausgewählt, weil es dem wohlbegründeten Vorwurf begegnete, er könne nur Drittes Reich.

Die historischen Filmaufnahmen ließ er kolorieren. Der unvermeidlichen Nachfrage, ob das nicht Geschichtsverfälschung sei°, kam er mit dem Argument zuvor, die Schwarzweißfotografie sei ohnehin eine Mangelerscheinung und die eigentliche Verfälschung gewesen, die er nun korrigiere. Sein Hinweis, Dokumentarfilmer (bzw. Wochenschau-Berichterstatter) hätten sich über das Fehlen der Farbe schon von jeher geärgert, ist sicher zutreffend.
Ganz anders dürfte es sich allerdings im künstlerischen Zweig der Filmgeschichte verhalten haben. Gewiß hat man sich auch hier zunächst an die Verfremdung gewöhnen müssen, die das wiedergegebene bewegte Bild aufwies, aber viel spricht dafür, dass Regisseure und Kameraleute schon frühzeitig eine Herausforderung darin erblickten, die sie sehr bewußt annahmen.
Der expressionistische deutsche Stummfilm war nicht einfach zufällig und notwendig schwarzweiß, er setzte diese Einschränkung als Stilmittel ein und beeinflusste das Kino weltweit, das sich eben von der Jahrmarktbelustigung zur Kunstform entwickelte. (Ich kann mir in diesem Zusammenhang auch nicht verkneifen, auf die unbewegte Schwarzweißfotografie verweisen, deren Künstlern niemand unterstellte, sie hätten lieber in Farbe fotografiert.)

Schon in den 20er Jahren wurde mit dem Farbfilm experimentiert, noch zur Stummfilmzeit. Das unfassbar teure und aufwändige Zweifarben-Technicolor wird auch in der späteren Fachliteratur gern als „mangelhaft“, als „unrichtig“ und als „fauler Kompromiss“ bewertet. Ich bin von der Schönheit dieses Spektrums jedes Mal berauscht, sei es in der einzigen überlebenden Farbsequenz des klassischen „Phantom der Oper“ (die den Auftritt des „Roten Todes“ zeigt), sei es in Douglas Fairbanks‘ komplett sepiafarbenem „Der schwarze Pirat“ oder in dem frühen Tonfilm „Das Geheimnis des Wachsmuseums“ von 1932.

Die zögerliche Abschaffung des Schwarzweißfilms

Der Farbfilm kam nicht so plötzlich und endgültig wie der Tonfilm.°° Es gab eine insgesamt 40jährige Übergangszeit.
In den 30er Jahren hatte sich der blitzgescheite Visionär Walt Disney die Exklusivrechte für das Technicolor-Verfahren gesichert. Das führte dazu, dass seine als Vorprogramm laufenden Cartoons dem jeweiligen Hauptfilm objektiv eine Attraktion voraus hatten. Dieser Schachzug hat erheblich zum (zunächst mühsamen) Aufstieg des winzigen Disney-Studios zu der Weltmacht beigetragen, die es heute darstellt. 1939 lief diese Vereinbarung aus, und mit „Vom Winde verweht“ und dem Musical „Das zauberhafte Land“ wurde das Vierfarb-Zeitalter im Kino offiziell eingeläutet.
Es folgte ein 30jähriger Zeitraum, in dem die Produzenten wählen konnten, ob sie die eine oder die andere Variante bevorzugten (- von den Independent-Filmern einmal abgesehen, die sich Farbfilm mitunter nicht leisten konnten). Bis in die spätern 60er Jahre konnte ein aktueller Kinofilm in Schwarzweiß gehalten sein, ohne dass dies als verwegenes Stilmittel herüberkam (wie in späteren Fällen, etwa bei Woody Allens „Stardust Memories“ (1980), Jim Jarmuschs „Down By Law“ (1986) oder dem Stummfilm „The Artist“ (2011). In der Tat endete das Technicolor-Zeitalter zur selben Zeit wie die Schwarzweiß-Ära im Jahre 1970.
Für die o. g. Theorie von der Absichtlichkeit des Schwarzweißfilms sprechen viele Beispiele, von denen hier nur einige genannt sein sollen.

Alfred Hitchcock war – wie stets – neugierig auf die technische Weiterentwicklung. Als er 1948 sein eigener Produzent wurde, drehte er umgehend seinen ersten Farbfilm „Cocktail für eine Leiche“. Das erwies sich als eine Kunst für sich. Einige Spulen dieses „ohne sichtbaren Schnitt“ gedrehten Kammerspiels mußte er wegschmeißen und nachdrehen, weil der künstliche Sonnenuntergang im Panoramafenster in ein übermäßig kitschiges Orange abgerutscht war.
Nach einem weiteren Farbfilm – einem Kostümfilm, der von der Kritik einhellig verrissen wurde – kehrte er zum Schwarzweiß zurück, bis er in Grace Kelly seine neue Heroine gefunden hatte. „Psycho“, der den Beginn seines Spätwerkes markiert, drehte er dann wieder in Schwarzweiß, weil er sich am Look des klassischen Horrorkinos sowie an dem einer üblichen dramatischen TV-Serie orientieren wollte.

Ähnlich wie die europäischen Großmeister Ingmar Bergman und Max Ophüls mochte auch Billy Wilder den Farbfilm nicht. Seine für viele Jahre einzige Arbeit in Technicolor ist „Kaiserwalzer“ (1947), ein in den Alpen spielender Musikfilm mit Bing Crosby, der von vielen Wilder-Verehrern als irritierend wahrgenommen und auch von ihm selbst nicht geschätzt wurde.
Als er daran ging, sein Meisterwerk „Manche mögen’s heiß“ zu realisieren, beschwerte sich seine Hauptdarstellerin Marilyn Monroe, in einem Film ohne Farbe auftreten zu müssen. Sie hatte keine Chance. Zunächst einmal verstand Wilder sein Werk auch als Parodie auf das klassische amerikanische Kriminalmelodram (jenes Genre, das die Franzosen film noir genannt haben und das man sich Farbe gar nicht ausmalen möchte), und außerdem wären bei realistischer Optik die raschen Kostüm- und Maskenwechsel seiner Helden nicht überzeugend gewesen, die en travestie in einer Damenkapelle unterschlüpfen, um einer Killerbande zu entkommen.
Regulär drehte Billy Wilder erst in Farbe, als das in den 70er Jahren zum unvermeidlichen Normalfall wurde.

Auch das beliebte Spiel mit der Farbe als vereinzeltem Effekt ist nur möglich, wenn die Farbe eigentlich fehlt. Zum Beispiel der rote Blut-Flash im Finale von „Spellbound“, wenn ein Selbstmord mit subjektiver Kamera erzählt wird°°°, das rote Kind in „Schindlers Liste“ oder die bunten Bildelemente in „Tatis Schützenfest“*.
Hochinteressant ist in diesem Zusammenhang auch John Hustons herrlich perverses Südstaaten-Drama „Spiegelbild im goldenen Auge“. Dieses lief in einer gewöhnlichen Farbversion und kam alternativ in einer Sepia-Version mit vereinzelten Rot-Effekten in die Kinos, die hin und wieder noch zu sehen ist (sogar im Fernsehen). Was auch immer Huston sich dabei gedacht haben mag, es hat eine faszinierende Wirkung.

_______________
° Zur Philosophie des Nachkolorierens siehe auch den Blog vom 13.9.2014
°° Siehe Blog vom 6.10.2014
°°° Siehe hierzu auch den Blog vom 28.12.2014
* Jacques Tati hat von seinem „Schützenfest“ auch eine Farbversion gedreht, die er sich aus technischen Gründen aber zunächst nicht ansehen konnte. Erst nach seinem Tode wurde das Material ausbelichtet.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Medienkunde, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert