Das Buch „Bad Movies We Love“ widmet einen Artikel dem leichten Technicolor-Liebesdrama „Hotel International“. Sein Regisseur Anthony Asquith galt einigen Fachleuten gut 30 Jahre zuvor als größtes britisches Regie-Talent neben Hitchcock, der inzwischen in einer völlig anderen Liga spielte. Ähnlich weit entfernt ist die Handlung seines Episodenfilms (wie man ihn heute nennen würde): Während der 12stündigen Verzögerung eines Transatlantik-Fluges verwickeln sich die Schicksale einer Gruppe von Reisenden in der Promi-Lounge des Londoner Flughafens.
Der Originaltitel „The V.I.P.s“ trifft das noch etwas besser, obwohl auch der deutsche Titel auf ein Ensemblestück verweist, einen All-Star-Cast. Für mich persönlich sind in diesem Exemplar all jene Dinge galvanisiert, die seither aus dem Medium Film verschwunden sind – und das nicht zu dessen Vorteil.
Es war einmal … da bastelten die Lithographen einer Fernsehzeitung noch jedem Film ein kleines Plakat. (Abbildung aus dem „Gong“ von 1983)
Schon der Vorspann (wieder so etwas, was es heute fast nicht mehr gibt) dieses „swanky trashfest“ ist ein Gesamtkunstwerk, das jedes normale zwanzigjährige Hirn unserer Tage verflüssigen würde und zu Ohren hinauslaufen ließe. Darin wird mehr Glamour produziert, als ihn selbst der vorangehende MGM-Löwe je auf einem Haufen gesehen hat. Im Vorspiel der kathedralenhaften Ouvertüre des gewieften Historienfilmkomponisten Miklós Rózsa sehen wir die Hauptfiguren in ihrem alltäglichen Umfeld: Rod Taylor (im selben Jahr auch bei Hitchcock in „Die Vögel“) in seinem Fuhrpark, Maggie Smith als seine tüchtige Teamassistentin, Orson Welles am Filmset etc. Erst dann endet das Intro (es ist das längste in der Geschichte der Filmmusik) und lässt unter einem sich entrollenden roten Teppich den Filmtitel aufscheinen und das eigentliche Liebesthema starten. Dann beginnt der unverschämt elegante grafische Teil des Vorspanns mit den Nebendarstellern und dem technischen Stab. Er wird zumindest denen ein Kribbeln verursachen, die die Serie „Mad Men“ mochten (– und jene enttäuschen, die der Kritikermeinung aufsaßen, so prachtvoll wie dort hätten die 60er Jahre noch nie ausgesehen).
Das in Kulturfragen stets messerscharfe „Hamburger Abendblatt“ erblickte in „Hotel International“ wie die meisten Rezensenten nur „Klischee-Figuren in einem Langeweile-Melodram“, und selbstverständlich ist die Frage legitim, warum man sich in unserer abgeklärten Epoche so etwas überhaupt noch ansehen sollte.
Die beiden Liebesgeschichten haben eine interessante Auflösung. Beide sind aus dem Affekt heraus durchaus glaubwürdig, beruhen aber auf einem derartigen Selbstbetrug aller Beteiligten, dass ich an Billy Bilder denken musste. Dieser Regisseur hat für seine vergifteten Happy Ends seinerzeit viel Kritik („zu zynisch“), später aber zunehmend Lob eingesteckt. Bei Asquith gibt es übrigens nicht nur zwei „glückliche“ Paare, auch die Verlierer werden deutlich ins Bild gesetzt.
Aber man muss sich mit diesem Film gar nicht so viel Arbeit machen. Man kann einfach chillen – mit den bis in kleinste Rollen maßgeschneiderten Auftritten britischer Komödianten etwa, allen voran Richard Wattis als rühriger Empfangschef und Margaret Rutherford, die für ihr Portrait einer verarmten aber lebenstüchtigen Herzogin einen Oscar einheimste. (Auch ihren Gatten und „Miss Marple“-Mitspieler Stringer Davis hat sie mal wieder dabei.) Man kann sich über das skandalumwitterte Ehepaar Richard Burton / Liz Taylor freuen, das hier unmittelbar nach der gefloppten „Cleopatra“ in seinem natürlichen Lebensraum und offensichtlich in Privatgarderobe gezeigt wird. Die Dialoge des Theaterautors Terence Rattigan atmen eine gewisse Wahrhaftigkeit (siehe oben) …
Oder wie wäre es damit: am gemeinsamen Genuss dieses Films lässt sich trefflich die Diskussion entzünden, an welchem Punkt tadelnswerter Kitsch in beglückenden Camp übergeht.