Platznachteil für Späteinsteiger (2)

betr.: Sprechen am Mikrofon

Fortsetzung vom 20. März

Der späte Einstieg stellt uns aber auch handwerklich vor besondere Herausforderungen.
Viele, die den Entschluss fassen, Unterricht zu nehmen und das Sprechen am Mikrofon als berufliche Tätigkeit anzustreben, gehen davon aus, Sprechen könne letztlich nicht so schwer sein. Schließlich tun wir es ja jeden Tag, und meistens fühlen wir uns ganz prima dabei. Der Hinweis, hier ginge es in erster Linie gar nicht ums „Sprechen können“ oder um eine schöne Stimme, sondern um die Fähigkeit richtig zu lesen, macht wenig Eindruck. Lesen kann ja schließlich auch jeder.
Meistens lesen wir aber nicht so gründlich, wie es am Mikrofon nötig ist. Im Alltag würden wir die Anforderung, jeden Satz nicht nur zu durchdringen, sondern ihn auch richtig in den größeren Zusammenhang einzufügen, ehe wir ihn aussprechen, als stressig empfinden. Was wir im Alltag wiederum sagen (was wir also sprechen ohne es abzulesen), geschieht deshalb so souverän und anstrengungslos, weil wir den Zusammenhang bereits kennen und weil wir in der Regel vorher wissen, was wir gleich sagen werden.
Mit zunehmendem Alter lässt die Fähigkeit nach, an dieser Struktur etwas zu ändern. Das beginnt schon bei Kommandos wie „bitte etwas langsamer“, es gilt ganz besonders für die Befolgung der wichtigsten Regel am Mikrofon: Sag nur, was du genau verstanden hast.
Zu der abnehmenden Bereitschaft, sich beim Reden reinreden zu lassen, kommt die Macht der Gewohnheit hinzu. Je älter man ist, desto länger hat man alles schon immer so gemacht – auch wenn es unter professionellen Gesichtspunkten falsch ist.
Zu der abnehmenden Bereitschaft, sich beim Reden reinreden zu lassen, kommt die Macht der Gewohnheit hinzu. Je älter man ist, desto länger hat man alles schon immer so gemacht – auch wenn es unter professionellen Gesichtspunkten falsch ist.

Zu keiner Zeit unseres Lebens schätzen wir es, korrigiert und belehrt zu werden, schon gar nicht wenn es um unsere verbale Kommunikation geht, eine Verrichtung, die (wie das Atmen) die meiste Zeit automatisch und unbewusst passiert. Ist man erst einmal 40 Jahre und älter, wird es zur völligen Zumutung, in diesem Zusammenhang etwas zu ändern.
Diese Warnung steht bei mir immer am Anfang der Probestunde. Sie wird stets sehr sportlich genommen („Ach, kein Ding, deswegen bin ich ja hier!“). Diese Entschlossenheit hält noch bis zum Ende der ersten Stunde. Doch der zweite Termin wird in der Regel nicht mehr wahrgenommen.

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