Ein Lump mit Verstand

betr.: 76. Geburtstag von Paul Schrader

Paul Schrader und sein Bruder Leonard wurden in eine tiefreligiöse Familie hineingeboren. Die Eltern ließen ihnen eine psychologische Folter aus Nadelstichen, Peitschenhieben und der völligen Verfemung irdischer Annehmlichkeiten angedeihen, um sie schon einmal seelisch auf die ewige Verdammnis vorzubereiten. Fernsehen und Kino waren natürlich verboten, dafür wurden den Jungs frühzeitig Gewehre geschenkt, die sie sogar mit ins Bett nahmen. (Leonard soll sich den Lauf der Waffe nachts in den Mund gesteckt haben „wie einen Schnuller“.)
So begab es sich, dass der spätere gefeierte Drehbuchautor Paul Schrader seinen ersten Film mit zwanzig sah. Bei einem der nächsten hat es dann Klick gemacht: „Lied des Rebellen“, in dem Elvis Presley einen jungen Schriftsteller spielt.

Den Besuch des calvinistischen College versüßte sich Schrader mit seiner Arbeit für den studentischen Filmclub und das Verfassen von Kritiken für die Unizeitung. (Besonders lobend äußerte er sich darin über Bergman, Dreyer und ähnlich hochwertige Kinoerzähler.) Die berühmte Kritikerin Pauline Kael, an die er sich mit der Bitte um Rat und Aufmunterung gewandt hatte, riet ihm zum Besuch der Filmhochschule. So begann Schrader 1968 ein Studium an der UCLA.
Für das nervöse, untersetzte Landei bedeutete dies sowohl einen Umzug ins Paradies als auch einen einschüchternden Kulturschock.  Immerhin: er konnte sich im Schreiben von Kritiken üben und gewann zumindest fachliches Selbstbewusstsein. Als er „Easy Rider“ verriss, wurde er aus der Filmredaktion seiner Underground-Zeitung herausgeschmissen. Da Pauline Kael sich für ihn einsetzte, brachte er es schließlich zum Herausgeber eines angesehenen Filmmagazins.
Nachdem er dies erreicht hatte, formte sich das nächste Ziel in ihm aus: er wollte Drehbuchautor werden.

Die Herausforderung ließ seine Neurosen von Neuem aufblühen. Schrader wurde abhängig von Tabletten, Alkohol und Pornokino-Besuchen und scheiterte in einer Ehe. Sein Schusswaffenfetisch verschlimmerte sich (seine braven Eltern wären stolz auf ihn gewesen), aber das dürfte es ihm immerhin erleichtert haben, sich mit John Milius anzufreunden (später der Autor von „Apocalypse Now“ und der Regisseur von „Conan der Barbar“ und schon damals ein Waffen-Fan). Mit Brian De Palma traf er sich hin und wieder zum Schachspielen.
1972 brach er unter der Last seiner Komplexe und seines Lebenswandels zusammen und kam mit einem blutenden Magengeschwür ins Krankenhaus. Das – so erzählte er später – habe ihn gerettet. Er kam hier nicht nur zu Besinnung, er brütete auch die Geschichte aus, die ihn unsterblich machen und ihm einen künstlerischen Exorzismus verschaffen sollte: „Taxi Driver“. Ein Song von Harry Chapin und die Meldungen über die Erschießung des Gouverneurs von Alabama lieferten ihm wichtige inhaltliche Details.
Mit dem so entstandenen Drehbuch musste er noch eine ganze Weile hausieren gehen (auch De Palma lehnte ab). Zu abseitig war dieser Held gestrickt, der unser Verständnis für einen Außenseiter einfordert, der sich in Selbstjustiz übt. Sogar Pauline Kael war nach der Lektüre besorgt. Wie er bloß auf diesen Typen gekommen sei, fragte sie ihren Zögling, und er antwortete: „Das bin ich ohne Verstand.“ Der Erfolg, der dem Film schließlich beschieden sein sollte, änderte nichts an Schraders Bescheidenheit. Mitte der 90er verkündete er etwa, durch „Pulp Fiction“ sei seine Arbeit als Drehbuchautor mit einem Schlag völlig veraltet. Von seinem größten Triumph machte er einen entscheidenden Abstrich.
Die Szene, die sich dem Publikum von „Taxi Driver“ und insbesondere der De-Niro-Fangemeinde als wichtigster Schlüsselmoment eingeprägt hat, ist jene, in der der Held in einem heruntergekommenen Zimmer steht und sich in seine geplante Begegnung mit den Halbweltfiguren hineinmonologisiert, die er zur Strecke bringen will. Er übt das Ziehen seiner Waffe und freut sich darauf, sich provozieren zu lassen. Immer wieder fragt er: „You’re talking to me?“
Die Szene entstand in den letzten Tagen der Dreharbeiten. Regisseur Martin Scorsese hatte Robert De Niro gebeten, diesen Text zu improvisieren, aber zusätzlichen Schliff bekam der Vortrag dadurch, dass er mehrmals wiederholt werden musste.
Schrader hat eingeräumt, dass das Ergebnis wirklich eindrucksvoll war: „Das war die beste Stelle im ganzen Film. Und ich habe sie nicht geschrieben!“

Ab Ende der 70er Jahre hat Schrader auch als Regisseur gearbeitet und Erfolg gehabt. Sogar den Katholiken konnte er noch eins draufgeben: mit seinem Drehbuch für „Die letzte Versuchung Christi“, wiederum für Martin Scorsese.

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