Die schönsten Filme, die ich kenne (112): „Härte“

Der kleine Andreas wächst in der frühen Bundesrepublik in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater zerquetscht ihm die Hand und versucht sogar, ihn umzubringen, indem er ihn mit Wasser übergießt und auf den winterlichen Balkon aussperrt. Andreas übersteht eine Lungenentzündung, wird aber ab dem sechsten Lebensjahr jahrelang von seiner Mutter sexuell missbraucht. Die grundguten Großeltern übersehen das Elend. Als Andreas in das Alter kommt, sich zu verlieben, hintertreibt seine Mutter diese Beziehungen. Der junge Mann sucht sich Auswege – emotional wie auch beruflich. Über seine Tätigkeit als brutaler Schuldeneintreiber findet er in eine Zuhälterkarriere, die ihn in kurzer Zeit schwerreich macht.
Andreas genießt es, die Mädchen auch emotional an sich zu binden, um seine organisch gewachsene Frauenverachtung abzureagieren. Als er ins Gefängnis gesteckt wird, bleibt eines davon an seiner Seite und wartet auf ihn …
Der 59jährige Neuköllner Ex-Karatechampion und Kampfsporttrainer Andreas Marquardt spricht sehr offen und nicht ohne Selbstbewusstsein über die Überwindung seiner kriminellen Vergangenheit, die parallel dazu szenisch nachgestellt wird.  

Der junge und der alte Andreas (Foto: missingFILMS)

Das Dokumentarspiel war in den Wirtschaftswunderjahren ein beliebtes Medium, um in einfachen Studiokulissen wahre Begebenheiten für den Bildschirm aufzubereiten – nicht zu verwechseln mit den Dokudramas der Jahrtausendwende, in denen Statements von Zeitzeugen und Originalbilder in einen aufwändigen Spielfilm eingeflochten wurden.
Der schwule Regisseur und Bürgerrechtler Rosa von Praunheim erzählt die Autobiographie des geläuterten Zuhälters und Geldeintreibers Andreas Marquardt so konsequent altmodisch nach, dass er die Spielszenen in stilisierten Dekorationen und sogar in Schwarzweiß inszeniert. Auf die bezwingende Qualität der schauspielerischen Darstellung legt er umso größeren Wert und kann sich dabei auf das Ensemble um den gewohnt fähigen Hanno Koffler, die in einer eigentlich undankbaren Rolle glänzende Luise Heyer und Katy Karrenbauer, die ich noch nie mit so gutem Material erlebt habe, verlassen. Die Szenen, in denen ein kleines Kind zu sehen sein müsste, sind ebenso klug gelöst (besonders im Vergleich mit dem im Folgejahr herausgekommenen „Die Hände meiner Mutter“, der ähnliche Themen berührt).
Fast jede Szene ist eine nervenzerfetzende Zumutung. Als ich den Film im Kino sah, war es einigen Zuseherinnen zu viel, was hier an ebenjenen familien- und beziehungstypischen Abscheulichkeiten ausbuchstabiert wird, deren Leugnung und Überbrückung sonst so eifrig verfolgt wird.
Ich gehörte zu denen, die „Härte“ als ein relevantes Kunstwerk genießen konnten. Nicht weil ich abgestumpft wäre, sondern weil die Freude überwog, in anderthalb so delikaten Stunden nicht einen einzigen falschen Ton zu hören. Auch die obligatorische Gefälligkeitslüge, den eigenen Eltern könne man unmöglich böse sein, wird dem Protagonisten (dem realen Andreas Marquardt) nicht abgepresst. Im Gegenteil.
Dennoch ist der Film keineswegs licht- und herzlos. Die wackere Gefährtin an Marquardts Seite wirkt ganz so, als hätte sie ihr Ziel glücklich erreicht. Im Gegensatz zu einem der Karate-Kinder, das zum Schluss sein Klötzchen nicht durchgehauen bekommt (der Trainer sieht großzügig darüber hinweg).

Rosa von Praunheim, der sich üblicherweise Themen und Persönlichkeiten der Subkultur widmet, der gesellschaftliche Missstände mit Laiendarstellern nachstellt und durch Schrilltöne sichtbar macht (nur das Thema Sex wurde beibehalten), hat hier vielleicht seinen besten Film vorgelegt. Um es genau zu wissen, müsste man ein bisher 180teiliges Lebenswerk sichten. Sicherlich war Praunheim nie zuvor so geschmackssicher und präzise.

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