Hochgenuss aus Selbstachtung (2): Der Bessere als Feind des Guten

betr.: Sprechen am Mikrofon / Was macht eine gute Hörbuch-Interpretation aus?*

Wenn ich also gefragt wäre, wer auf dem Hörbuchmarkt zum Vorbild taugt, muss ich nicht lange überlegen.
Dietmar Bär ist meiner Meinung nach gegenwärtig der beste der prominenten belletristischen Vorleser. Er gelangte nicht etwa zu diesem Job, weil er ihn (wie auch das Schauspiel) so gut beherrscht, sondern als Nebeneffekt seiner langjährigen Kölner „Tatort“-Hauptrolle. – Ein glücklicher Zufall also. Unter den Krimis, die man ihm auf dieser Basis meint, zutrauen zu dürfen, befindet sich mitunter richtige Literatur, die so geschäftstüchtig ist, sich als Krimi auszugeben. Dazu zählt die „Millennium-Trilogie“ von Stieg Larsson. Wenn nicht andere Titel aus einzelnen Erwägungen näher liegen, empfehle ich meinen männlichen Schülern diese leider gekürzte Lesung von 2009 immer zuerst.

Auf diese Weise erfuhr ich erst von der Alternative, die mittlerweile auf dem Markt ist. „Millennium“ wurde nämlich unterdessen auch von Dietmar Wunder eingelesen, und das ist ein sehr interessanter Fall!

Hörprobe Dietmar Bär (© by Schall & Wahn)

Hörprobe Dietmar Wunder (© by Schall & Wahn)

Dietmar Wunder wiederum ist einer der besten männlichen Hauptrollen-Sprecher der Berliner Synchronbranche, beinahe schon eine Klasse für sich. Da zu seinen Stammschauspielern auch Daniel Craig zählt und dieser in einer soliden aber letztlich überflüssigen Neuverfilmung des ersten „Millennium“-Bandes die Hauptrolle spielte, war es unausweichlich, dass man Dietmar Wunder anbot, auch von Dietmar Bärs Hörbuch ein Remake vorzulegen. Dagegen ist natürlich gar nichts einzuwenden, zumal die zweite Version nunmehr den ungekürzten Text bereithält. Darüberhinaus lohnt ein Vergleich – gerade deshalb, weil Dietmar Wunder ein so versierter Sprecher ist.

Beginnen wir mit der alten Fassung. Was Dietmar Bärs Lesekunst auszeichnet, ist eine uneitle Redlichkeit, die sich zu jeder Zeit völlig der Geschichte unterordnet. Die delikate Entscheidung, wie viele und welche Figuren eines Romans in der wörtlichen Rede mit einer kabarettistischen Ausgestaltung bedacht werden und wie deutlich dies geschieht, nehmen Bär und seine Regie stets in der denkbar trefflichsten Weise vor, so auch hier. Die Abwesenheit eines routinierten Erzähler-Sounds – Bär hat sie sich über Jahrzehnte bewahrt – irritiert einige meiner Schüler. Oder besser: sie meinen irritiert sein zu müssen, weil sie sich an diese Manierismen längst gewöhnt haben und sich dazu keine persönliche Meinung mehr bilden möchten (siehe voriges Kapitel).

Ihnen erscheint Dietmar Wunders Lesung im Vergleich ohrgängiger, was sie vordergründig auch ist. Doch es ist genau dieser Charme, dem Wunder unablässig die Sporen gibt (und ganz besonders in den Dialogpassagen), der mir seinen Vortrag verleidet. Wunder richtet seine Lesung – vielleicht unbewusst – an seine Fans, an sein Kino- und besonders an das James-Bond-Publikum. Er ist kein neutraler, kein „allwissender Erzähler“. Er kommt als jemand zu uns, der selbst schon so viele Bösewichte im Poker geschlagen und den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen hat, dass die geschilderten Abenteuer damit kaum konkurrieren können. Tritt eine Frau auf – sei sie attraktiv oder eine unkonventionelle Heldin wie Lisbeth Salander –, wird sie uns von Wunders markanter, weltläufiger Diktion durch die Linse des Gentleman-Ladykillers alter Schule gezeigt, was mit der Chronistenpflicht, die jedem literarischen Vortrag als Grundlage innewohnt, nicht vereinbar ist und unsere jeweilige Befindlichkeit anordnet. Obschon ein Verehrer von Craigs Bond-Darstellung (zumindest in Film Nr. 1) wie auch seiner deutschen Synchronisation, fühle ich mich von dieser Art, die Geschichte zu präsentieren, ausgesperrt. Ich sehe den Vortragenden immer – an mir vorbei und über mich hinweg – mit den Damen flirten, die auch gerade zuhören. Wunders Eleganz klingt so, als würde der Erzähler immerzu lächeln. Obwohl das zu vielen der vermittelten Inhalte einfach nicht passt. Wunder hat diesen Effekt nicht unter Kontrolle.

Irritierenderweise steht mir beim Zuhören der alten Lesung niemals Dietmar Bär, sondern die Handlung vor Augen (Bär verwandelt sich wirklich, je nachdem, was er gerade tut!). Wenn Dietmar Wunder liest, den ich nur von Fotos kenne, steht immer Dietmar Wunder vor mir, der gefeierte Synchronsprecher. Er trägt einen hübschen Pullover, und hat einen Martini in der Hand.

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Nachtrag:
Kategorie a: Axel Milberg, Christian Brückner, Walter Kreye
Kategorie b: Boris Aljinovic, Katharina Thalbach
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* Beispielhaftes dazu unter https://blog.montyarnold.com/2022/10/19/21598/ und https://blog.montyarnold.com/2022/06/25/20973/

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