Der vorletzte Kultfilm: „Dirty Dancing“

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Es war in den frühen Tagen des Privatfernsehens, als es noch Fernsehansagerinnen gab. Eine Kollegin von SAT.1 moderierte den alten Hollywood-Film „Die Liebe der Marjorie Morningstar“ mit dem Hinweis an, Gene Kelly tanze darin „fast so toll wie Patrick Swayze in ‚Dirty Dancing‘“. Heute muss man die unfreiwillige Komik dieser Einlassung erklären, aber damals haben sich viele Zuseher noch an Kelly erinnern können, den knapp hinter Fred Astaire bedeutendsten Filmtänzer überhaupt.
Obwohl besagter Film Kelly in erster Linie als Schauspieler zeigt und er darin nur eine relativ kleine Tanzeinlage gibt (die Filmmusical-Ära war gerade zuende gegangen), hat er mit „Dirty Dancing“ doch mehr zu tun als der Ansagerin bewusst war. Die erste Hälfte der Inhaltsangabe dieser Literaturverfilmung liest sich wie die von „Dirty Dancing“. Es ist offensichtlich, dass die Autorin Eleanor Bergstein ihn gut kannte. Ihr koketter Hinweis, das Drehbuch zu „Dirty Dancing“ erzähle nicht ihre persönliche Geschichte, ist angesichts ihres familiären Backgrounds ohnehin eine Binse.

Frances Houseman und ihre Eltern verbringen die Sommerferien 1963 in den Catskill-Mountains 100 Kilometer nordwestlich von New York City, dem klassischen Urlaubsziel der jüdischen Community. Als das Arzt-Ehepaar sein Mittagsschläfchen hält, erweckt sein „Baby“ das Interesse des New Yorker Tanzlehrers Johnny Castle, der in der Ferienanlage jobbt. In einer verschwiegenen Waldhütte kommen die beiden einander näher. Babe springt für Johnnys Tanzpartnerin ein und bekehrt ihren Vater von seinen Vorurteilen hinsichtlich des Milieus, aus dem der Tänzer stammt.
Bei den heißen, „schmutzigen“ Rhythmen des eigens für den Film von Johnny Ortega geschaffenen „Dirty Mambo“ verliert Babe das Interesse an den Ballettstunden, die sie früher genommen hat – und die letzten Reste der bürgerlichen Unschuld, zu der ihre Eltern sie erzogen haben. Als Johnnys Ex-Freundin Penny schwanger wird (nicht von Johnny, sondern vom Kellner Robbie), finanziert sie ihr die Abtreibung.

Wie wenig der Erfolg dieses Films abzusehen war, merkt man bereits daran, dass er der „Cinema“ nur eine (sehr abfällige) halbe Seite wert war. Der Low-Budget-Film mit den erschwinglichen Hauptdarstellern (Swayzes Partnerin war Jennifer Grey, die Tochter der Musical-Legende Joel Grey) spielte mehr als 200 Millionen Dollar ein, obwohl die Tanzfilmwelle der 70er spätestens mit „Flashdance“ (1983) als erledigt galt. Die Platte mit den Popsongs des Films verkaufte sich in den ersten fünf Wochen mehr als eine Million mal und hängte selbst Michael Jacksons Album „Bad“ ab. Der zentrale Song „(I’ve Had) The Time Of My Life“ wurde zum „erfolgreichsten Duett aller Zeiten“ hochdekoriert, erhielt einen Grammy und einen Oscar. Zwei Jahre danach räumte sogar der „Katholische Filmdienst“ ein, dass ein solch „inhaltlich und formal gleichermaßen biederer Unterhaltungsfilm, der leichte Anrüchigkeit mit sentimentaler Moral zu kombinieren versucht, in der Präsentation von Tanzszenen und Liebesromanze mit Happy-End aber ganz offensichtlich einen ‚zeitgeistlichen‘ Nerv getroffen hat.“
In der ehemaligen DDR, wo der Film ein noch größerer Erfolg gewesen war als im Westen, wird er alljährlich mit einer ausverkauften Open-Air-Vorführung im Rahmen der Dresdner „Filmnächte am Elbufer“ gefeiert.

Im Frühjahr 2006 erstand „Dirty Dancing“ in Hamburg als Bühnenshow wieder auf. Das Musical hielt sich sehr viel darauf zugute, keinen Satz der Vorlage zu ändern – weder „Mein Baby gehört zu mir!“ noch die übrigen; intern war den Machern die Zeile „Ich habe eine Wassermelone getragen“ besonders wichtig. Das bedeutete das Eingeständnis, den Film nicht wirklich adaptieren zu können oder zu wollen, hörte sich in den Ohren der Fangemeinde aber irgendwie kühn und respektvoll an. Immerhin sicherte man sich auch die Rechte an den Songs des Films. Dieses Glück sollte die Musical-Bühnenfassung von „Pretty Woman“ einige Jahre später nicht mehr haben.

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