A talent not to amuse

betr.: Wie Filme auf uns wirken und warum. Am Beispiel von „Asphalt City“ und „Caché“

Vom aussichtslosen Wunsch des Sozialarbeiterkinos, uns zu besseren Menschen zu erziehen

Seit ich diesen Ausdruck vor Jahrzehnten in einer Filmkritik las, liebe ich ihn und benutze ihn gern: „Sozialarbeiterkino“. Damit bezeichne ich Filme, deren Machern ich jederzeit ihre guten Absichten glaube und deren Wahl einer ersprießlichen Botschaft ich anerkenne. Doch was haben solche Tugenden mit der Fähigkeit zu tun, mich zu unterhalten? Irgendjemanden zu unterhalten!
Nicht das Geringste!
Selbst wenn ein edler, hilfreicher Mensch (was immer das sein mag) über ein gewisses Talent verfügt, einen guten Film zu machen, so wird er dies im Zweifelsfall der Unmissverständlichkeit der angestrebten Belehrung unterordnen. Die Filmgeschichte hat tausende solcher Beispiele hervorgebracht.

Da die Produkte des Sozialarbeiterkinos stets damit werben, wie gut sie gemeint sind, fällt es mir leicht, ihnen auszuweichen. So bin ich auch dem neuen Film des „guten Menschen von Hollywood“, wie sich Sean Penn gern in der Presse nennen lässt, glücklich ferngeblieben.
Mein Vorurteil lautete wie folgt: was der Film mir an Unbehagen bereiten wird, wird nicht durch etwas aufgewogen, das mir wichtig oder willkommen ist.

Ein Freund von mir, der „Asphalt City“ kürzlich sah und der einen gänzlich anderen Geschmack hat als ich, bestätigte mir das. Ohne zu wissen, dass ich den Film insgeheim bereits vorverurteilt hatte, beschrieb er ihn mir ausführlich, lobte ihn etwas hüftsteif für seine „gute Botschaft“, räumte aber ein, dass er sich damit doch sehr geplagt hätte. (Ich hatte den Eindruck, er wünschte sich bereits, die Erinnerung aus dem Kopf zu bekommen.)
Was mich schier sprachlos machte, war die Beschreibung der Schluss-Einstellung. Penn und sein junger Kollege (gespielt von Tye Sheridan) haben sich als Notfallsanitäter knapp zwei Filmstunden lang bis an den Rand des Wahnsinns verausgabt und sind zusätzlich auch noch beschimpft, juristisch belangt und mit Undankbarkeit überzogen worden. Ich glaube unbesehen, dass „Asphalt City“ ein realistisches Bild dieses Berufes zeichnet und dass er allen, die ihn anschauen, zu denken gibt!* Doch kurz vor Schluss hat der Jüngere der beiden ein dezent rührseliges Erlebnis, das dem Drama einen winzigen versöhnlichen Twist aufnötigt und den Helden zum Lächeln bringt.
Zu solch faden Mitteln greifen nur sehr, sehr schlechte Filmemacher (seien sie auch gute Schauspieler und edle Menschen). So etwas tut nur, wer sein Publikum nicht ernst nimmt.
Der Zufall wollte es, dass mein Freund kürzlich auch einen Film des unbequemsten aller von mir geliebten Regisseure gesehen hatte: „Caché“ von Michael Haneke. Ich hatte ihm die DVD geliehen. Haneke betont bei jeder Gelegenheit, wie fern es ihm liegt, Botschaften aussenden zu wollen. Auch er mutet seinen Zusehern allerhand zu (manches davon ist auch mir zuviel!). Doch nie käme er auf die Idee, sein gemartertes Auditorium mit einem Happy-Endchen trösten oder gar bestechen zu wollen. Stattdessen gibt es die von mir gewünschten Gegengewichte zuhauf, die den unbehaglichen Teil ausbalancieren und die diesen zum unverzichtbaren Teil des Dramas machen: gute Darsteller, glaubhafte Dialoge, Humor, Alltagsrealismus (unabhängig vom Milieu, in dem der Film spielt), atemlos spannende Konflikte, Rätsel, die mich nicht mehr loslassen, Einblicke in die eigene Seele (wo Penn & Co mir schreckliche Menschen vorführen, die mich gottlob nichts angehen).

Mein Freund sagte, mir er wisse nicht recht, ob ihm „Caché“ gefallen habe. Schließlich habe er sich über einiges in der Handlung geärgert, und die Botschaft „Die Sünden der Väter werden an den Söhnen vergolten.“ habe ihm privat auch nicht gepasst. Nachdem ich ihn davon überzeugt hatte, dass hier gar keine Botschaft vermittelt, sondern nur eine unschöne Tatsache offen ausgesprochen wird, stellte sich heraus, dass es für ihn doch ein reichlich fesselndes Erlebnis gewesen ist, sich tagelang von Hanekes Geschichte umtreiben zu lassen. Dass die männliche Hauptfigur (gespielt vom liebenswert-abgründigen Daniel Auteuil) ihn gepackt und dass er sich mit ihr sogar identifiziert habe. Dass es oberflächlich zwar um das französische Erbe des Algerienkriegs geht, doch in Wahrheit um eine Vielzahl von Dingen, die uns weitaus näher sind.
Für mich handelt dieser Film von mir selbst. Von uns allen. Von familiären Konflikten. Von der Angst vor der Verletzung der Privatsphäre und des eigenen Wohnraumes. Von der Unzufriedenheit, die selbst Männer befallen kann, die einen tollen Job und eine bildschöne, kluge Ehefrau haben. Von der Aussichtslosigkeit, es Pubertierenden recht machen zu wollen. Von winzigen Nachlässigkeiten, die unsere Liebsten schrecklich kränken, ehe wir es uns versehen. Und vieles mehr.
Wie sich herausstellte, ist „Caché“ für meinen Freund zwar nicht der bequemere, aber der weitaus bessere Film.
Ich wette, eines Tages wird er sich die DVD nochmals ausleihen.
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* Das kann man durchaus mögen, und selbstverständlich gibt es Zuseher, die genau damit glücklich und zufrieden sind. Ich glaube aber nicht, dass Sean Penn es darauf anlegt.

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