betr.: die prägende Qualität der Arbeit mit Tonband
Als Ohrenmensch, dem stets das Talent gefehlt hat, ein Musikinstrument zu erlernen, war das professionelle Tonandgerät für mich persönlich das, was auch die Historiker sagen: der Rolls Royce der Geräteindustrie. Damit erstmals zu arbeiten (als kreativer Jingle-Erfinder beim Saarländischen Rundfunk), war eine Offenbarung. Ich begriff seine Funktionsweise sofort und liebte es fortan und seither mit der gleichen Leidenschaft, mit der ich die Compact-Cassette immer gehasst habe, mit der wir alle im Alltag zu hantieren hatten. Das Verschwinden dieser mickrigen, in puncto Qualität, Handhabbarkeit und Haltbarkeit gleichermaßen unbefriedigenden Technik stellt einen der wenigen Vorzüge des Untergangs analoger Technologien dar.
Die folgende Passage aus dem SWR Kultur-Essay „Stop-Rewind-Play – Per Knopfdruck zur Geschichte der frühen Tonbandmusik“ von Michelle Ziegler kam mir wie eine Seite aus meinem ungeschriebenen Tagebuch vor:
„Wer einmal ein solches Gerät bedient hat, erinnert sich an das Einrasten, Durchlaufen und Neustarten des Bandes, an die Geräusche und Dauer dieser Vorgänge und an die haptische Qualität der Plastiktasten mit ihren Widerständen. Bei Kassettengeräten an das alarmierende Quietschen, wenn sich das Band in den Spulen verwickelt hat und dann sorgfältig aus dem Gewinde gezogen und mit Fingerspitzen oder Bleistift wieder aufgespult werden muss. Bei den imposanten Spulentonbandgeräten, den Rolls Royces der Geräteindustrie, bleibt die Handhabung in Erinnerung: das Gewicht der Spulen beim Aufsetzen auf den Spulenteller, die kühle Sperrigkeit des Bandes beim Einlegen, das Klicken beim Einstecken von Kabeln, der Widerstand und die Materialität der Tasten, die Zeit, die das Spulen braucht, oder das Fingerspitzengefühl beim Schneiden und Kleben, wenn die Aufnahmen bearbeitet werden.“
Von meinem zweiten zusammengesparten Geld habe ich mir eine Revox B77 gekauft (das erste war für ein E-Piano draufgegangen, beides besitze ich bis heute).
Wenn ich heute am PC schneide, macht mir das vermutlich deshalb so viel Freude, weil sich ein Teil von mir immer noch über die großen Bandteller beugt:
„Bei der Arbeit am Computer verlaufen die Vorgänge hinter den Notensatz- und Audio-Softwares verdeckt in der Blackbox des Rechners.
Zwischen diesen zwei immateriellen Welten öffnete sich nun allerdings in den 1950er Jahren eine Phase des Komponierens, das ohne Materialität nicht denkbar ist. Mit dem Tonband komponieren bedeutete, Hand anzulegen. Geräte mussten eingerichtet und eingeschaltet werden. Spulen wurden eingelegt und festgedreht, Tonbänder eingefädelt, Medienoperationen durch Tasten in Gang gesetzt. Doch noch mehr: Beim Komponieren konnten die Tonbänder mit Schere und Klebstoff geschnitten und neu montiert werden. Wie bei einem Patchwork wurden so Stück für Stück musikalische Kompositionen gebaut. Noch vielfältiger wurden die Tätigkeiten bei Verschaltungen von mehreren Bandmaschinen. Bei der Tätigkeit an Tonbandmaschinen griffen die Komponierenden buchstäblich mit der Hand ins Klanggeschehen ein. Das Komponieren wurde zu einer Performance an Geräten.“
Auch das mag in meinem Gefühlshaushalt eine Rolle spielen: ich näherte mich um ein paar Zentimeter der Identität des Musikers an, der ich nicht sein kann.