betr.: „Monica“ von Daniel Clowes
Bei Daniel Clowes setzt sich der Trend der letzten Jahre fort. Zeichnerisch wird er immer nachlässiger und auf eine unvirtuose Weise skizzenhafter (werfen Sie noch mal einen Blick in „Ghost World“, und Sie werden einen Schreck bekommen). Parallel dazu gewinnen seine Szenarios an Struktur und Tiefe. Mit „Patience“ hatte er seine bisher beste durchgehende Geschichte vorgelegt, im Folgeband „Monica“ versöhnt er diesen langen Atem nun mit seinem Hang zur kleinen Form. Das Ergebnis ist ein erzählerisches Patchwork aus neun einzeln genießbaren Kurzgeschichten und doch aus einem Guss.
Clowes‘ großes Thema ist – zugegeben – eines, über das ich einfach fürchterlich gern lese: die Mittelklasse und die Vermeidbarkeit der Probleme, mit denen sie ihre Leben sabotiert und verpestet. Irgendwann kam ich dahinter, dass ich mir meine eigene Gesellschaftsschicht viel lieber von amerikanischen Künstlern nacherzählen lasse (Autoren, Zeichner, Filmemacher). Der Muff der alten Bundesrepublik weht auch bei Updike, Yates und Cheever (an den ich bei der Lektüre von „Monica“ allen Ernstes denken musste!), nur sieht er dort weniger lächerlich und bedrückend aus. Auch stilistisch sind sie Kollegen der Neuen Welt besser aufgestellt. Bei uns glaubt jeder, der in den 80er Jahren Nutella gegessen und „Wickie“ im Fernsehen gesehen hat (oder der heute ein Smartphone besitzt …), schon, er hätte einen Durchblick, den er unbedingt (mit)teilen müsste. Bei Daniel Clowes und seinen Landsleuten gibt es immer diese kaum merkliche Verschränkung mit der Zeitgeschichte und der Popkultur, die in den Jahren, in die wir und unsere Bücher gegenwärtig zurückblicken, einfach mehr zu bieten hatte, außerdem einen Blick für Details, die bei uns gern mal unter den Tisch fallen. In „Monica“ etwa heißt es: „Hinterm Haus gab es einen kleinen betonierten Hof, wo ich oft den ganzen Tag spielte…“.
Daniel Clowes pflegt seine alten Vorbilder und huldigt ihnen angemessen. Die Gruselgeschichte „Infernalisches Leuchten“ ist nicht nur dem Titel nach eine Lovecraft-Parodie, läuft aber auf ein frisches Ende hinaus, das auf die einschlägigen Pioniertaten der Großmeister Jack Kirby und Steve Ditko verweist. Ich vermute, dass Clowes seine nach und nach erwachte Vorliebe für gruselige Symbolsequenzen und Stoffe wie diesen seiner Orientierung an Charles Burns verdankt, den er in den USA an Bedeutung knapp überragt, der ihm wiederum als Zeichner weit überlegen ist (– leider macht Burns als Autor gerade ein leichtes Formtief durch: der 3. Band von „Daidalos“ hatte eine irritierend simple Auflösung). Ich will mir gar nicht vorstellen, wie tief mich Kapitel wie „Die Öffnung Der Weg“ verstören würden, wären sie von Charles Burns umgesetzt worden.
Doch das ist ein kleinmütiger Einwand. „Monica“ ist ein großer Wurf und hat sogar einen Trost für uns parat: Auf jede Täuschung folgt eine Ent-Täuschung. Versprochen!