betr.: Das „Psycho“-Hörbuch von Jens Wawrczeck
Am 25. April erscheint „Psycho“ in einer neuen Hörbuch-Fassung. Es war ein weiter Weg dorthin. Er hat sich gelohnt.
Der (erste) moderne Horrorfilm „Psycho“ hat sich wenig überraschend in den 45 Jahren seit dem Ende von Hitchcocks Werk als dessen populärster Titel erwiesen: unerreichbar zahlreich sind die ikonischen Motive, Namen, Bilder, Dialogsätze und Töne. Wer sich in der Filmographie des Regisseurs auskennt, den überkommt Behagen angesichts der Tatsache, dass auch qualitativ nichts gegen dieses Quorum spricht. Dass das Beliebteste eines Künstlers auch zum Besten zählt, ist bekanntlich eine große Ausnahme!
Für Jens Wawrczeck und sein Hörbuch-Projekt „Hitch und ich“ brachte diese Ballung von Superlativen ein Problem mit sich. Die Rechte waren schwer zu bekommen. Nachdem Jens in der Vergangenheit sogar Romane wiederbelebte („The Trouble With Harry“ wurde im Rahmen der Übersetzung für die Hörbuchfassung sogar als Buch aufgelegt), stand er hier vor besonders zähen Verhandlungen. Und das bei einem Titel, der in seiner Serie schmerzlich vermisst worden wäre.
Die bis vor kurzem aktuelle Lesung der Romanvorlage von Robert Bloch stammt von Matthias Brandt, dessen Name zum Zeitpunkt der Aufnahme für das hiesige Publikum ebenso groß war wie der des Films. Auch jemandem, der im Verdacht einer gewissen Befangenheit steht, dürfen Sie dies glauben: Jens Wawrczecks Interpretation ist ein Hochgenuss und ein echter Gewinn. Dass seine Gestaltung der bösen Mutter die beste seit der deutschen Synchronfassung von 1960 ist, kann sich jeder vorstellen, der seine Arbeit kennt. Und gegen Ende wird ein weiteres schauspielerisches Glanzlicht gesetzt: Normans angetrunkenes Geständnis, die Leiche seiner Mutter gestohlen zu haben.
Endlich haben wir eine Fassung zur Verfügung, die den Stoff in wirklich jeder Hinsicht durchdringt, den weißen Elefanten im Raum nicht aus den Augen lassend: Hitchcock.
Was ist literarisch zu diesem Text zu sagen? Robert Blochs Stil ist ungemein vergnüglich – selbst im Vergleich mit der vertrauten Filmvorlage, in der uns einnehmendere Charaktere und Hitchcocks Art von Humor entgegenkommen. Und doch ist es aus heutiger Sicht eine völlig andere Geschichte, denn die berühmte Schlusspointe steht in der Romanvorlage ja noch aus. Und so „sehen“ wir Mutter Bates im Hörbuch durchaus – was im Film bekanntlich unterbleibt. Der sich daraus ergebende Unterschied erinnert an die Lektüre von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (bzw. die Lesung von Gunter Schoß*). Auch hier entsteht ein völlig neuer Blick auf eine altbekannte Geschichte. Wie „Psycho“ hat auch „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ uns im Kino die Auflösung längst verraten, auf die sich die Erzählung noch windungsreich zubewegt. Im zweiteren Fall waren dazu allerdings unzählige Bearbeitungen notwendig. Hitchcock hat es mit einem einzigen Werk geschafft.
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* https://www.ardaudiothek.de/sendung/robert-louis-stevenson-dr-jekyll-und-mr-hyde/83382274/