Zeitachse des Bösen

betr.: „Patience“ von Daniel Clowes (Reprodukt)

Daniel Clowes ist für sein neues Werk „Patience“ bereits gelobt worden – zu recht. Wie üblich erweist er sich mit seinen treffenden Mittelklasse-Portraits als ein Updike des Comics, dessen Sprachwitz oft schöner ist als die Wirklichkeit und der doch niemals gekünstelt wirkt.

Jack hat die Frau fürs Leben gefunden (Titelheldin Patience) und wird auch von ihr geliebt. Das ist gleichzeitig Jacks größtes Problem, denn er belügt sie hinsichtlich seines Berufes – er verteilt Porno-Flyer in der Innenstadt – und seiner beruflichen Perspektive. Als sich Nachwuchs ankündigt, vergrößert sich beides: die Innigkeit der Beziehung und die Unhaltbarkeit der Lüge. Das Schicksal löst diesen Konflikt auf grausame Weise.

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Ein sehr kleines Glück zu Beginn der Geschichte – und doch so groß, dass es nur noch abwärts gehen kann: der schicksalhafteste Tag im Leben von Jack und Patience. (Copyright: Reprodukt)

Jack trauert und verhärmt viele Jahre lang, bis ihm das Leben eine zweite Chance zu geben scheint: ein Typ, der ihm noch armseliger vorkommt als er selbst, hat etwas Bemerkenswertes erfunden. Jack begibt sich auf eine Zeitreise in die Jahre vor der Beziehung zu Patience, um von langer Hand alles Unheil aus ihrem Weg zu räumen …

Daniel Clowes macht gerade eine eigenartige Entwicklung durch: während seine Zeichnungen allmählich immer schlampiger werden – von einer Verfeinerung seiner „amerikanischen ligne claire“ kann wirklich keine Rede sein – ist das Szenario eine Gipfelleistung.
Bisher gab es bei Clowes nur drei Kompromiss-Varianten: perfekte, aber kurze Geschichten („Karikatur“), gute Kapitel, die ein weniger gelungenes Ganzes ergaben („Ghost World“) oder große Erzählungen mit abstrusen Unwuchten („David Boring“).
Hier ist endlich der „große Comic-Roman“, von dem so oft geträumt wird. „Patience“ entwickelt eine Sogwirkung. Nie zuvor ging Clowes so empathisch mit seinen Charakteren um. Seine typischen Zutaten kommen sich erstmals zu keiner Zeit ins Gehege, sondern befördern einander: die Tristesse der Wohlstandsgesellschaft, die ewige Suche nach Sex und emotionaler Erfüllung, die Endlichkeit des Lebens, die Auflehnung gegen all das mit rotzigem Sarkasmus, die Kulturlosigkeit des american way of life, das Spielen mit Mythen der US-Popkultur und mit phantastischen Elementen. (Diesmal kommt noch eine kleine Portion Krimi dazu, was besonders die deutschen Leser freuen dürfte.)

Eine Verfilmung dieser Vorlage ist unausweichlich (- es wäre nicht die erste des Autors). Das ist für den Leser nicht notwendig, aber ein Glücksfall für Hollywood, wo man Sujets von dieser Güte lange nicht auf dem Tisch liegen hatte.

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