Wo nie ein Taktstock zuvor gewesen ist – Der Komponist Bernard Herrmann (19)

Forstsetzung vom 3.11.2018

betr.: Herrmanns Jahre nach und mit den Jüngern von Alfred Hitchcock (1)

Unter Herrmanns neuen Arbeitgebern befanden sich aufstrebende Jungtalente und spätere Starregisseure, seriöse Hitchcock-Bewunderer und schluderige Hitchcock-Nachahmer. Bereits 1966 schrieb Herrmann seine erste Partitur für den längst arrivierten Francois Truffaut, der mit seinem Interviewbuch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ den wichtigsten Beitrag zur filmhistorischen Einordnung Hitchcocks – und damit auch Herrmanns – geleistet hatte.

Der Regisseur wünschte sich vom Komponisten „eine imaginäre Musik des 21. Jahrhunderts“, ohne Modernismen, dabei gleichsam kühl und aufwühlend, wie ein melancholischer Kommentar. Truffaut schrieb in sein Filmtagebuch: „Die Musik wird reichlich und wichtig sein. Aber wir sind mit Bernard Herrmann übereingekommen, dass sie nichts bedeuten darf. Sollte ‚Fahrenheit 451‘ eine kommerzielle Pleite werden, würde die Musik daran nichts ändern. Es geht also nur darum, die Fremdartigkeit der Szenen zu begleiten: keinerlei sentimentale Musik bei Montag und Clarissa, nichts Erschreckendes beim Captain, kein komischer Effekt, nicht einmal ein heiterer. Es wird eine Musik sein, die beunruhigen soll.“

Eine Suite aus „Fahrenheit 451“ findet sich bereits auf einem der DECCA-Alben*. „Fahrenheit 451“ basiert auf der gleichnamigen Erzählung von Ray Bradbury. Die in einem totalitären Staat der Zukunft angesiedelte Geschichte handelt von den Gewissenskonflikten eines Feuerwehrmannes, dessen einzige Aufgabe es ist, die von der Regierung verbotene Literatur aufzuspüren und zu verbrennen – jegliche Literatur! In Anlehnung an dieses Schriftverbot lässt Truffaut den Vorspann in der unbeschrifteten Titelsequenz zu Herrmanns Musik einsprechen. Besonderen Eindruck machte das musikalische Schlussmotiv, die Beschreibung der anarchischen „Book People“. Die Kritik der F.A.Z. spricht hier von „der Rettung des europäischen Geistes, der sich nur behaupten kann, wenn man die Wohlstandshäuser hinter sich verbrennt, von vorn beginnt, stockend, lernend, frierend, in den Wäldern.“

Im folgenden Jahr entstand „La Mariée etait en noir“, eine Rachephantasie, in der das Publikum einige von Hitchcocks Lieblingsmotiven wiederfinden konnte. Eine Klicke von fünf Männern verschuldet versehentlich den Tod eines Bräutigams auf seiner Hochzeitsfeier. Die junge Witwe Julie wird die nächsten Jahre damit zubringen, diese fünf, die sich ihrer Verantwortung feige entzogen haben, aufzuspüren und nacheinander umzubringen. Das klingt finster – ist es auch. Die Hauptdarstellerin Jeanne Moreau hat später selbstkritisch angemerkt, inzwischen würde sie diesen Part sehr viel humorvoller anlegen. Wegen einer Musikpassage kam es zum Streit zwischen Herrmann und Truffaut. An dieser Stelle – ein Seidentuch schwebt über den Schauplatz des Mordes dahin – setzte der Regisseur das Andante aus dem Mandolinenkonzert von Vivaldi ein, das schon in seinem Drama „L’Enfant sauvage“ erklungen war.

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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2018/11/03/bernard-herrmann-18/

Forts. folgt

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