Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (16)

Fortsetzung vom 16.11.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

All die großen Meister

Zurück in Hamburg erhielt ich von Ron Goodwin die Nachricht, dass er nun mit seiner Arbeit zu Ende komme und wir uns so langsam um einen Aufnahmetermin in Odense bemühen könnten. Dank der tatkräftigen Hilfe von Thomas, der beste Beziehungen nach Dänemark unterhält, war auch die technische Seite schnell geregelt. Alles fügte sich auf einmal trefflich, der Dampfer Alhambra nahm wieder Fahrt auf.

Offenbar hatte es sich in der interessierten Szene herumgesprochen, dass wir die „Miss Marple“ einspielen würden, denn ich bekam einen Anruf vom RIAS Berlin. Man bot mir an, das alljährlich stattfindende „Filmharmonische Konzert¨ für eine CD-Veröffentlichung mitzuschneiden. Einzige Bedingung: ich sollte einen international bekannten Komponisten beschaffen. Und das Ganze wäre zum „Schnäppchenpreis“ zu haben.
Ich fragte bei Heinz an, wie denn der aktuelle Kontostand sei und ob wir uns das überhaupt leisten könnten. Seine Antwort war ganz klar: wenn ich mir davon ein Geschäft versprechen würde, sollte ich es machen. Mir fiel spontan Frederick Talgorn ein. Wenn Hunderttausende im Radio eine Suite aus „Le brasier“ hörten, würde sich vielleicht der eine oder andere vielleicht die CD kaufen. Die Frage, ob Talgorn für den RIAS akzeptabel sei, stellte sich gar nicht erst, denn der Meister hatte keine Zeit. Ich sprach also mit Thomas Karban. Der meinte, es müsste ein Komponist sein, der schon mal einen Welthit hatte, einen richtigen Ohrwurm: Elmer Bernstein! – Aber die Marlboro-Werbung mit den „Glorreichen Sieben“ lief nicht mehr. Und seine großen Erfolge lagen schon eine Weile zurück. Ennio Morricone? Keiner von uns hatte Kontakt zu ihm. Jerry Goldsmith? Was war ein Konzert ohne sein „Omen“? Wir hatten aber keinen Chor! Bill Conti? Ja, genau, das war des Rätsels Lösung. Seine „Rocky“-Fanfare war weltbekannt. Er hatte noch viele andere gute Musik geschrieben und war auf Tonträger deutlich unterrepräsentiert. Ich rief also Joe Haensch an. Ja, er kenne Bill, ja er habe seine Telefonnummer, was ich denn von ihm wolle? Ich umriss ihm kurz das Projekt, und er fragte, ob ich denn noch länger im Büro sei. Natürlich. Gut, er melde sich dann wieder. Der Rückruf kam postwendend. Ich solle mich für den nächsten Tag zur gleichen Zeit im Büro aufhalten, Bill Conti wäre dann bei ihm, und wir könnten uns dann gemeinsam unterhalten. Ich konnte kaum die 24 Stunden abwarten, bis das Telefon wieder klingeln würde.

Und es klingelte pünktlich. Auf Joe war einfach Verlass! Bill Conti hörte sich an, was ich zu sagen hatte. Als ich fertig war, vergewisserte er sich, dass er wirklich eine Stunde für seine Musik zur Verfügung habe? Aber sicher, und wenn die auf drei Tage anberaumte Probezeit gut verlief, könne man da ja auch schon Aufnahmen machen. Dann nannte er seine Konditionen: 10.000 $ Honorar (schluck!), Hin- und Rückflug 1. Klasse (schluck) und in Berlin ein sehr gutes Hotel mit mindestens fünf Sternen (fünfmal schluck). Was würde Heinz dazu sagen? Ich griff zu, denn in diesem Stadium konnte man immer noch absagen. Das hätte zwar nicht sonderlich professionell gewirkt, aber Hollywood war ja weit weg. Ich berichtete Heinz, und mit einer stoischen Ruhe meinte er nur, das würden wir schon hinkriegen. Ich rief Thomas Karban an. Er war zu Hause und ich meinte, ich käme jetzt vorbei. Mit einer oder zwei Flaschen Rotwein. „Bring noch was zum Essen vom Chinesen mit“ waren seine letzten Worte, bevor er den Hörer auflegte.

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