betr.: der WDR 5-Rückblick auf das Liedgut der und zur Pandemie
Das TV-Silvesterprogramm war diesmal derartig live und zum Abschalten (wo waren die ganzen schönen alten Filme?), dass ich aufs Radio umgeschaltet habe. Das erwies sich als einer dieser Kollateralnutzen, die sich in der Krise gelegentlich auftun.
WDR 5 sendete kurz vor Mitternacht die mit Abstand witzigste Medien-Stunde des Jahres: eine Aufbereitung des Themas „Chansons zu Corona“. Das Kernstück der Sendung war eine Hitparade aus Liedern, die vor einem Jahr – aus inhaltlichen wie logistischen Gründen – gar nicht gegangen wären. Die lange versunkene Kunst des Novelty-Songs ist endlich wieder da, und sie vereint sagenhafte drei der vier klassischen deutschen Chanson-Gattungen: volkstümlich / lyrisch / politisch! Außerdem wird viel parodiert und gecovert. Seit 50 Jahren – den goldenen Zeiten der Blödelbarden – hat deutsches Liedgut nicht mehr solchen Spaß gemacht (im Gegenteil!). Meine kulturpessimistische Seele wird entschädigt für viele pflichtbewusste Stunden am Lautsprecher mit der „Liederbestenliste“ und ein Dutzend „Spiegel“-Interviews, in denen heulsusige Comedians versuchten, gleichzeitig wacker weiterzujuxen und zwischendurch den Pegel ihrer persönlichen Betroffenheit nicht unter die angenommene Schicklichkeitserwartung rutschen zu lassen.
In dieser aufbewahrenswerten Stunde der Reihe „Unterhaltung spezial“ dürfen wir uns die rhetorische Frage stellen, was eigentlich komischer ist: Original oder Umtextung (z.B. des Liedes von der „Biene Maja“ oder der „Bohemian Rhapsody“). Zu Beginn liefert uns Michael Lohse eine solide Kultur- und Sittengeschichte des zuendegehenden Plage Year und nimmt damit schon einen Gutteil der Magisterarbeiten vorweg, die er zu diesem Thema auf uns zukommen sieht. Ganz im Sinne von Michel Houellebecqs Ausspruch vom vergangenen Frühjahr, diese Pandemie sei gleichzeitig hochdramatisch und stinklangweilig.
Nur in einem Punkt bin ich anderer Ansicht als der WDR-Corona-DJ: sein Platz 8 wären mein Platz 1, 4 und 3: das Mannheimer Liedermacherduo Mackefisch mit „Wohnzimmer“. In den besagten Magisterarbeiten müsste dieser Songtext eigentlich komplett auftauchen, in dem es zu den unzähligen Live-Schalten in prominente Stuben so schön heißt:
Zeig mir deinen ganzen Mist,
und ich sag dir, wer du bist
oder wer du gerne wärst …
Zeit, dass du das klärst.
Übrigens: die Musik dazu ist ein echter Ohrwurm.
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