Scorsisi nisi bene

betr.: 80. Geburtstag von Martin Scorsese

Hat ein Künstler ein gewisses Alter erreicht und entsprechend lange im Unterhaltungsbetrieb durchgehalten, kann es ihm gelingen, sich über jede kritische Bewertung zu erheben. Das kann gelingen, wenn er zwei Voraussetzungen erfüllt. Er muss den Mainstream bedienen, aber gleichzeitig glaubhaft damit kokettieren, dass ihn dies eigentlich unterfordert (das ist eine anerkennenswerte Leistung, wenn auch keine künstlerische). Und er muss lange genug leben, um den Tod der begabteren Mitbewerber auszusitzen (zum Beispiel den von Sidney Lumet).

Steven Spielberg ist unzweifelhaft der Allergrößte auf diesem Gebiet. Er wird in einer geradezu liturgischen Weise gepriesen. Kritische Anmerkungen findet man allenfalls, wenn sich seine Hohepriester jemand anderen aus dieser Gruppe vornehmen und ein Gegenbeispiel auf höchstem Niveau benötigen, um den anderen noch dicker aufzublasen. Zum heutigen Feiertag wird sich das neuerlich abspielen, sobald auf eine Gemeinsamkeit der beiden letztlich Unfehlbaren verwiesen wird (so war es schon zu Scorseses 70.): von den Überlebenden des New Hollywood gilt Scorsese als derjenige, der – im Gegensatz etwa zu Spielberg oder George Lucas – der Versuchung stets widerstanden habe, kommerziell ausgerichtete Serienkonzepte zu verfolgen. – Sie haben richtig verstanden: die Ablehnung von Superhelden-Filmen (der sich Scorsese immer wieder rühmt) ist etwas, wofür man heutzutage als Zuschauer schon dankbar sein muss.

Diese Auslegung missachtet, dass Scorsese seit Jahrzehnten den gleichen Film immer wieder dreht: eine Romantisierung der Mafia, ihrer „Ehre“, ihres Männlichkeitsbegriffs und ihrer Luca-Brasi-Methoden*. Dieses Detail wird von seinen Rhapsoden wider besseres Wissen aktiv bestritten. Ein Beitrag des Deutschlandfunks behauptet, dieser Regisseur habe keinen Hang zur Gewaltverherrlichung: „Das Bezwingende und die Zuschauer Treffende der Inszenierung beruht […] darauf, dass sie das Angemaßte und Beliebige der Haltung durchsichtig macht.“ Scorsese zeige in „Taxi Driver“ „einen psychotischen, vor sich selbst fliehenden Verlierer, der sich ein Opfer imaginiert und über eine mörderische Tat seiner Existenz eine Rechtfertigung verschaffen will.“ – „Taxi Driver“ Travis Bickle, ein Idol der Halbstarken aller Altersstufen, soll ein Loser ein? Immerhin ein siegreicher, bei dem sich der Off-Kommentar zum Schluss ausdrücklich bedankt.
Weiter heißt es, selbst die „Wutausbrüche der von Joe Pesci gespielten Figuren in ‚Goodfellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia‘ und in ‚Casino‘ […] hatten nichts von Gewaltverherrlichung, sie versuchten auch nicht, diese Gewalt als Schauwert zu überhöhen. Distanzierung wurde zum Merkmal der Inszenierung.“
Dabei sind die genannten Filme für das Kino der harten Jungs das, was „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ für das öffentlich-rechtliche Weihnachtsprogramm ist. Aber wer Martin Scorsese ernsthaft für einen Feind fetter Gewaltdarstellungen hält, der glaubt auch an die Macht der Zaubernuss.

Natürlich verlässt sich Martin Scorsese nicht auf seine Fanclubs und auf das Lob der Kulturbeilage. Er inszeniert sich regelmäßig als demütiger Diener seines Mediums – so als Kurator, durch die Herstellung und Präsentation von Kulturdokumentationen oder indem er sich für die Entwicklung und Anwendung alterungsbeständigen Filmmaterials einsetzt.
Und immer wieder gönnt er sich Projekte jenseits der Mafia-Oper, in denen er die Komplexe, die ihn – allem Lobgehudel zum Trotz – beständig heimsuchen, fingerfertig in ein Lob für alte Meister einwickelt.
In einem Werbefilm für einen spanischen Sektproduzenten mit dem Titel „The Key to Riserva“ behauptet er, es seien dreieinhalb Seiten des Manuskriptes aus einem unrealisierten Film von Alfred Hitchcock aufgetaucht. In einem gespielten Interview spricht er über die Schwierigkeiten, drei Minuten à la Hitchcock zu drehen: „Wir werden es machen, ja: Ich werde meinen eigenen Hitchcock-Film drehen. Aber er muss so aussehen, muss so sein wie der Film, den er damals gemacht hätte. Nur, dass wir ihn jetzt drehen. Aber auf die Art, wie er es damals gemacht hätte. Wenn er heute lebte und den Film jetzt drehen würde, dann würde er es heute so machen, als würde er es damals gemacht haben. Also seinen Film – nicht meinen. Denn das könnte ich nicht. […] Mein Ansatz? Ich werde es sicherlich nicht so angehen wie ich es als Ich selbst täte. Aber: Kann ich es so drehen wie Hitchcock? Ich denke nicht. Also: Als wer werde ich den Film dann drehen? Das ist die große Frage …“

Mit anderen Worten: falls es euch nicht gefällt, wäre Hitchcock schuld. Aber nur ironisch. Soll ja nur ein Witz sein? Klar? Also doppelt ironisch! Nicht wirklich schuld! Verstanden? Gut.
_________________
* geflügeltes Wort, das auf eine Figur aus dem Coppola-Repertoire zurückgeht.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert