In der Archäologie und anderswo

betr.: Aneignung / koloniale Vergangenheit / Rassismus / Wokeism etc.

Joseph Conrad gehört zu den ersten Schriftstellern, die in ihren Werken den Kolonialismus angeprangert und sich zum Fürsprecher der Ausgebeuteten gemacht haben. Das bewahrt ihn nicht davor, heute für das Gegenteil beschimpft, gecancelt oder boykottiert zu werden.
Tilman Spengler schildert diesen Widersinn am Beispiel von Conrads heute berühmtestem Roman:

Für Chinua Achebe, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, war Joseph Conrad ein klassischer Rassist, der, gerade in „Das Herz der Finsternis“, die am Ufer des Kongo lebende afrikanische Bevölkerung „entpersonalisierte“, sie nur als eine diffuse Erscheinung von Gliedmaßen, schimmernden Augäpfeln und zuckenden Bewegungen wahrnahm. Es ist wohl wahr, dass Conrad keinen Schwarzen als Helden herausgestellt hat. Das wäre allerdings auch nicht ganz einfach gewesen in einer Erzählung, deren Thema die Ausbeutung, die Unterdrückung, die Versklavung der einheimischen Bevölkerung ist. Und dass Conrad nicht über die einheimischen Sklavenhändler schrieb, die oft eine veritable Machtstellung erlangten, hätte ihm ganz gewiss auch Chinua Achebe nicht vorgeworfen.

Auf die Schwierigkeit, in diesem Zusammenhang die richtigen Worte zu wählen, weist der Leiter der archäologischen Stätte von Pompeji, Daniel Zuchtriegel,  in der „Wochentaz“ vom 20.-26.4. hin:

Der Begriff Sklave gilt als umstritten. Ist die postkoloniale Debatte in der Archäologie angekommen?
Langsam, ja. Die Diskussion um den Begriff „Sklave“ ist dabei nicht so hilfreich. Postkoloniale Kritik in der Archäologie bedeutet, die Strukturen eines Herrschaftsdiskurses in der Antike aufzudecken. Wenn wir heute von Menschen sprechen, deren Vorfahren, vielleicht in der dritten, vierten, fünften Generation, also noch nicht so lange her aus archäologischer Sicht, tatsächlich von Sklaverei betroffen waren, dann ist es verständlich zu sagen: Das Wort reduziert die Menschen auf diesen Aspekt ihres Daseins. In der Antike verhält es sich völlig anders, da sind eigentlich wir die Sklaven.

Wie meinen Sie das?

Die Sklaven der Römer kamen aus dem heutigen Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Es wäre eine Gelegenheit, die eigene Wahrnehmung in Frage zu stellen. Dieser rassistische Komplex zwischen Sklaverei, Rassismus, Kolonialismus, der in der Moderne so prägend ist und der es problematisch macht, das Wort Sklave zu verwenden, könnte dadurch unterwandert werden, dass wir für die Antike an dem Begriff festhalten. Wenn wir uns klarmachen: Die berühmten Wurzeln der abendländischen Kultur waren auch das. Wir waren Sklavenbesitzer, aber auch Sklaven, und unsere Kultur kommt aus einer Gesellschaft, die bis zu einem Drittel der Bevölkerung aus Sklaven bestand.

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