Ein wunder Knabe

betr.: Die arte-Doku „Jean-Pierre Léaud – Truffauts Alter Ego“

Beim Betrachten der dieser Dokumentation konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich arte – der Sender, der so viele Künstlerbiographien für uns zubereitet – sich manchen Gegenständen mit größerer Zuneigung nähert als anderen. Frühe bewegte Bilder des Jungschauspielers Jean-Pierre Léaud, der dann jahrzehntelang als Antoine Doinel, das Alter Ego seines Regisseurs François Truffaut, auf der Leinwand agierte und mit ihm alterte (zuerst als Halbwüchsiger in „Sie küssten und sie schlugen ihn“) zeigen ein Naturtalent bei Probeaufnahmen, das sich in der Folge als beständige Begabung erweist.

Was haben sich die Macher des Films wohl dabei gedacht, einige heutige Schauspielschüler mit seinen Bildern zu konfrontieren, sie seine Posen und Schlagworte nachahmen zu lassen? Ihre übereifrig-gutwilligen, aber linkischen und bei allem Liebreiz farblosen Auftritte machen Léauds natürliches Spiel nur umso verblüffender – ein Beleg, dessen es nicht bedurft hätte.

Jean-Pierre Leáud ist keine reine Pubertätsbegabung wie sein deutscher Kollege Thomas Ohrner („Timm Thaler“) eine Generation später. Und anders als – noch später – dem wiederum sehr fähigen Kinderstar Jamie Bell („Billy Elliot“), war es Leáud vergönnt, dass noch zahlreiche weitere Filme von gleichbleibend hohem Niveau ihm ein Weiterleben und –gedeihen vor der Kamera ermöglichten (neben Truffaut hat sich auch Jean-Luc Godard eine Zeitlang seiner Möglichkeiten bedient).
Der frühe Tod seines Freundes und Förderers Truffaut muss ihn daher ganz besonders getroffen haben – ihn und seine Arbeit.

Nachdem uns die Eltern des Jungen kurz vorgestellt worden sind – zwei recht malerische Figuren mit filmkünstlerischem Background – erfahren wir nichts weiter über sie, und auch der Mensch Jean-Pierre bleibt ein vollkommenes Rätsel. In der Doku erleben wir ihn nie annähernd privat (also etwa in einer Homestory oder einer enthüllenden Reportage), nur im Rahmen der Promotion für seine Filme. Dem heutigen Betrachter erscheint er in seinen späten Jahren seltsam planlos, entwurzelt und uninspiriert. Im Filmausschnitt einer seiner Altersrollen wirkt er verwirrt oder doch wenigstens betrunken. Die Fachliteratur erinnert uns daran, dass Léaud (wie so viele schlichtere Gemüter der Branche) die hilflose Flucht in die Exzentrik ergriffen hat. Es bleibt der Eindruck eines verwunschenen Geschöpfes, das außerhalb seiner Kunstfigur(en) keine gute Zeit hatte.
Es ist ein anrührender Effekt, der hoffentlich trügt.

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