Es war einmal: Die Saftschubse

Henry Cooper fand im Vorderteil der Maschine einen Fensterplatz und stellte die Tasche auf den Mittelsitz neben sich. Den dritten Platz nahm eine kräftig gebaute Frau in einer hellblauen Hose ein, die für den Umfang ihres Gesäßes zu knapp war. Sie zwängte eine riesige Handtasche neben die andere auf dem Mittelsitz und breitete über beide einen schweren Pelzmantel.

Diese Zeilen aus „Die Flugtasche“ – einer Kurzgeschichte von Graham Greene, die ihren Sarkasmus gar nicht gegen das Fliegen an sich richtet – machten mir noch einmal bewusst, wie sehr ich diese Art der Fortbewegung hasse, wie lächerlich die Kluft ist, die sich zwischen ihrem Anspruch, Luxus und Weltläufigkeit vorzutäuschen und den immanenten Demütigungen auftut, die sie praktisch jedem mehr oder weniger deutlich antut, der sich darauf einlässt. Das gilt auch und insbesondere für das Bordpersonal, dessen permanente Gefangenschaft in dieser erstickend-lächerlichen Parallelwelt ja viel umfassender ist als die selbst des reiselustigsten Geschäftsmannes oder Außenpolitikers.

Mir fiel ein Ausdruck wieder ein, den ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört oder gedacht habe: „Saftschubse“. Das ist abfällig für „Flugbegleiter“. Wohlgemerkt: für die männliche Variante dieses Berufs, der in der üblicheren weiblichen Variante Stewardess heißt.
Diese männliche Variante – das wird durch die feminine Struktur des launigen Schimpfwortes deutlich – schließt Homosexualität mit ein. Flugbegleiter waren noch ausdrücklicher schwul als Balletttänzer oder Friseure. Und sie brauchten all die Langmut und den lebensnotwendigen Masochismus, die sie ihre gesellschaftliche Situation gelehrt hatten.

Unter den Homosexuellen der 80er und frühen 90er Jahre – so lange ist diese Bezeichnung mir nicht mehr begegnet – galt der Beruf der männlichen Stewardess als – erraten! – weltläufig und luxuriös. Er verströmte einen Glamour, der seinerzeit Prominenten vorbehalten war. Und dies zu einer Zeit als die multiplen Abstufungen nach unten – bis hinunter zur Dritt- oder Z-Prominenz – noch nicht in der heutigen Form existierten.

Homosexuelle hatten in jenen Tagen in der westlichen Zivilisation nicht viel zu lachen, wenn sie nicht zu der verschwindenden Randgruppe innerhalb der Randgruppe gehörten, die sich in einem sie ausfüllenden Beruf eingerichtet hatte („was mit Medien“, wie man später gesagt hätte), in der Stadt lebte und sich wegen ihrer Neigung nicht allzusehr selbst die katholisch anerzogene Hölle heiß machte.

Was aber war denn nun so begehrenswert und schillernd am Flugbegleiten? Die große Welt (von der man berufsalltags ja nichts zu sehen bekam)? Die Bereitstellung der Arbeitskleidung durch die Airline (- es gibt schräge Vorlieben da draußen …)? Das Gefühl, über den Dingen zu schweben (oder ähnlicher quasiphilosophischer Mist)?
Ich will ehrlich sein – ich weiß es nicht. Über solche Dinge haben wir damals in der Subkultur nicht miteinander gesprochen.
Meine Theorie: die Attraktivität des Berufs ging von der Option aus, jemand anderen, mit dem man nicht verwandt oder verschwägert war, als Gratis-Mitflieger eintragen zu lassen (ich habe den bürokratischen Fachbegriff vergessen). Das versprach der Saftschubse zusätzliche Beliebtheit und einen sozialen Aufstieg innerhalb ihrer Community.

Außerdem dürfte ein Grund eine Rolle gespielt haben, über den auch und gerade unter Heterosexuellen lieber geschwiegen wird: Wer fliegt, erspart sich das Leben zuhause.

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