betr.: 34. Todestag von Helga Feddersen
„Das Haus an der Stör“ (1963), in dem die Hamburger Schauspielerin Helga Feddersen einen frühen beachtlichen Auftritt hat, hat sich als Archivperle in milder Rotation im linearen Fernseh-Angebot erhalten. Es ist eine besonders beliebte Folge der historischen deutschen Krimiserie „Stahlnetz“ (1958-68). Die Fälle waren in sich abgeschlossen, die Kommissare wechselten. Diesmal ist der Charakterkomödiant Rudolf Platte an der Reihe, der sich mit einer jungen Kollegin auf eine Zugfahrt vom schleswig-holsteinischen Itzehoe nach Bad Tölz begibt, um einen alten Fall wieder aufzurollen. Fast die gesamte Handlung wird auf der langen Bahnfahrt in Rückblenden erzählt, die wiederum hauptsächlich „Bilder von sprechenden Menschen“ zeigen (wie Hitchcock diese Kammerspielsituationen etwas abfällig nannte).
Der Reporter Jürgen Roland, der dank dieser Serie zum lebenslang gefeierten TV- und gelegentlichen Kinoregisseur aufstieg, war sich dieser Problematik bewusst. Und so ordnete er seinem Bestreben, keine bildgestalterische Langeweile aufkommen zu lassen, alles andere unter. Seine Figuren dürfen niemals stillsitzen. Die beiden Fahrgäste müssen immerzu aufstehen, auf den Gang hinaustreten, wo sogleich eine Karawane von Mitreisenden an ihnen vorbeidrängelt, müssen das Fenster auf- und wieder zumachen. Komparsenbesuche im Abteil sorgen für zusätzliche Funktionsdialoge. Rudolf Platte, der auch in den Rückblenden agiert, ermittelt meist nicht stehend oder sitzend, sondern muss mit Ernst H. Hilbich von dessen Verkaufsstand auf der Mönckebergstraße zur Wurstbude hetzen und eine Wurst kaufen, die dann keiner isst, Harry Wüstenhagen beim Flaschenputzen helfen, mit Friedrich Schütter einen Tatort begehen, den er schon einmal begangen hat. Alle gehen während der Befragung umso emsiger ihren jeweiligen Berufen nach. Selbst in seinem Büro kommt Platte nicht zur Ruhe, es wird ständig herumgestromert und mit der Zeugin („Ich helf Ihnen.“) Kaffee gekocht, den dann keiner trinkt. Die ohnehin stetig wechselnden Schauplätze – in jedem von ihnen wohnt ein illustrer Stargast – werden nach Kräften durchmessen, erwandert, erschlossen. Die meisten dieser Kulissen wirken so realistisch wie man es sich bei diesem dokumentarischen Serienformat wünscht, nur der Ohnsorg-Star Henry Vahl als Gerichtsmediziner wird in ein expressionistisches Totenkopfkabinett gesetzt, in dem sich Dr. Mabuse zu Hause gefühlt hätte (auch die dämonische Beleuchtung von unten hätte ihm gefallen).
Der erkennbare gute Wille ist nicht unsympathisch, und unzweifelhaft war Jürgen Roland mächtig stolz darauf. Doch seine Mühen lassen den Krimiklassiker zum skurrilen Kabinettstückchen verschrumpeln. Helga Feddersens Auftritt als Schneiderin gegen Ende des Films ist auch deshalb so gelungen, weil sie die ihr auferlegte Umtriebigkeit sehr charmant unterspielt. (Der knallige Kollege Hilbich zeigt uns das andere Extrem.)
Wer dem Film etwas Gutes tun will, kann ihn als „Rail Movie“ betrachten, das die Erfindung bzw. Ausdefinition des „Road Movie“ durch „Easy Rider“ (1968) vorwegnimmt.